Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
gebracht habe, dort gibt es eine Pumpe. Aber ich wollte sie nicht in der Nähe der kranken Tiere lassen. Du bringst ihnen Wasser, und ich schicke jemanden mit Heu. Füttere sie ordentlich. Und nun gib acht: Ich möchte, daß wir uns von Anfang an gleich richtig verstehen...« Und so ging es weiter und weiter, endlose Anweisungen über das Tränken der Schafe und in wie viele Haufen ich das Heu aufteilen sollte, damit jedes Tier seinen Anteil bekam. Im Grunde genommen konnte man es ihm nicht verübeln. Ich sah nicht aus wie ein Schafhirte, trotzdem vermißte ich Burrichs stillschweigende Voraussetzung, daß ich meine Arbeit verstand und sie tat. Schon im Gehen, wandte Dämon sich noch einmal zu mir um. »Und dein Name, Junge?«
»Tom«, antwortete ich nach kurzem Zögern. Philia hatte zu Anfang unserer Bekanntschaft erwogen, mich so zu nennen, bevor ich den Namen FitzChivalric angenommen hatte. Diese Erinnerung beschwor eine andere herauf. Eine Erinnerung an etwas, das Edel mir einmal an den Kopf geworfen hatte. »Du brauchst dich nur kratzen, um unter der Tünche Namenlos den Stallburschen zu finden«, hatte er gehöhnt. Ich bezweifelte, daß in seinen Augen Tom, der Schafhirte, eine wesentliche Verbesserung darstellte.
Es gab ein Brunnenloch in unbequemer Entfernung von den Pferchen, und der Eimer hatte ein sehr langes Seil. Ich mußte tüchtig arbeiten, um den Wassertrog zu füllen.
Genaugenommen füllte ich ihn mehrere Male, bis die Schafe duldeten, daß er gefüllt blieb. Zur gleichen Zeit traf ein mit Heu beladener Karren ein, und ich errichtete mit großer Sorgfalt in jeder Ecke des Pferchs einen Futterhaufen. Es war eine zweite Geduldsprobe, weil jedesmal sofort die Schafe herandrängten, um zu fressen. Erst nachdem alle, bis auf die schwächsten Tiere, fürs erste gesättigt waren, gelang es mir, das restliche Heu so zu verteilen, wie es Meister Dämon gefallen hätte.
Sobald die Tiere versorgt waren, zog ich einen weiteren Eimer Wasser herauf. Die Frau lieh mir einen großen Topf, um es heiß zu machen, und zeigte mir eine vor neugierigen Blicken geschützte Stelle, wo ich mir den ärgsten Straßenstaub von der Haut waschen konnte. Mein Arm heilte gut. Nicht übel für eine tödliche Verletzung, sagte ich mir und hoffte, daß Chade nie von meiner Dummheit erfuhr. Wie er lachen würde! Als ich mich sauber fühlte, machte ich abermals Wasser heiß, um die von der Lumpensammlerin erstandenen Kleider auszuspülen. Der dunkelgraue Umhang war anschließend um etliche Schattierungen heller; den Mief brachte ich nicht vollständig heraus, doch als ich ihn zum Trocknen aufhängte, roch er hauptsächlich nach nasser Wolle und weniger stark nach seinem früheren Besitzer.
Dämon hatte mir nichts zu essen dagelassen, aber die Verseherin bot mir eine warme Mahlzeit an, falls ich es übernahm, den Stier und die Pferde zu tränken – eine mühselige Arbeit, derer sie in den letzten vier Tagen herzlich überdrüssig geworden war. Auf diese Weise verdiente ich mir eine Schüssel Eintopf, Brot und einen Krug Ale, um alles hinunterzuspülen. Danach ging ich hinaus, um nach meinen Schutzbefohlenen zu sehen. Die Schafe machten einen zufriedenen Eindruck, deshalb wandte ich mich aus alter Gewohnheit dem Stier und den Pferden zu. Ich stand an den Zaun gelehnt, betrachtete die Tiere und dachte darüber nach, wie ich mich fühlen würde, wenn dies mein ganzes Leben wäre. Gut, stellte ich fest, falls eine Frau wie Molly darauf wartete, daß ich abends nach Hause kam. Eine knochige weiße Stute näherte sich, um ihre Nase an meinem Hemd zu reiben und gestreichelt zu werden.
Ich tat ihr den Gefallen und fand heraus, daß sie ein sommersprossiges kleines Mädchen vermißte, das ihr Möhren gebracht und sie Prinzessin genannt hatte.
Hatte wohl irgend jemand irgendwo die Freiheit, das Leben zu leben, das er sich wünschte? Nachtauge vielleicht, jedenfalls wünschte ich es ihm. Ich wünschte es ihm von Herzen, hoffte aber gleichzeitig, daß er mich manchmal vermißte. Niedergeschlagen fragte ich mich, ob womöglich aus diesem Grund Veritas nicht zurückgekommen war. Vielleicht hatte er den ganzen Ärger mit Kronen und Thronen satt gehabt und seine Spuren verwischt. Doch nein, nicht er, nicht Veritas. Er war in die Berge gegangen, um die Uralten um Hilfe in der Bedrängnis zu bitten. Und falls ihm das nicht gelang, würde er einen anderen Weg zur Rettung finden. Was immer es war, er hatte mich gerufen, um ihm zu helfen.
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