Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
nachher alles als Windei herausstellt und man sich über dich lustig macht, hat Maestro Dell vielleicht einen Grund mehr, dich zu schlagen.«
Sie wandte sich ab und stolzierte den Hang hinunter. Einmal tat sie im Ungewissen Mondlicht einen Fehltritt und wäre beinahe gestürzt, fing sich aber und schaute böse zu mir zurück, ob ich etwa zu lachen wagte. Mir aber war nicht im geringsten zum Lachen. Ihr gegenüber hatte ich mich herablassend gegeben, doch in Wirklichkeit lag mir die Furcht wie ein Stein im Magen. Hundert Kurante in Gold. Wenn sie das herumerzählte, würde man eine Treibjagd auf mich veranstalten. Nachdem ich dann tot war, befanden sie dann vermutlich, daß sie den Falschen erwischt hatten.
Natürlich konnte ich das Wagnis eingehen und versuchen, mich allein durchzuschlagen. Sobald Creece mich abgelöst hatte, zum Karren gehen, meine Sachen holen und mich davonmachen. Wie weit mochte es noch sein bis zum Blauen See? Das versuchte ich auszurechnen, als ich eine zweite Gestalt zwischen den Wagen auftauchen und zu mir heraufsteigen sah.
Merle kam leise, aber nicht verstohlen. Sie hob grüßend die Hand, bevor sie sich freundschaftlich neben mir niederließ. »Ich hoffe, du hast ihr kein Geld gegeben«, eröffnete sie die Unterhaltung.
Ich zuckte vage die Schultern und überließ es ihr, daraus ihre eigenen Schlüsse zu ziehen.
»Weil du mindestens der dritte Mann bist, der sie auf dieser Reise geschwängert haben soll. Dein Herr hatte die Ehre, als erster beschuldigt zu werden. Nach ihm kam Madges Sohn. Wenigstens glaube ich, daß er der zweite war. Ich weiß nicht genau, wie viele Männer sie zum Vater dieses möglichen Kindes ausersehen hat.«
»Ich habe nicht mit ihr gelegen, also kann sie mich schwerlich in Betracht ziehen.«
»Oh? Dann bist du vermutlich der einzige Mann im Treck, der nicht zugegriffen hat.«
Erst empfand ich eine gelinde Erschütterung, dann fragte ich mich, ob ich je einen Ort erreichen würde, an dem ich nicht ständig aufs neue erkennen mußte, wie einfältig ich war. »Du glaubst, sie ist guter Hoffnung und sucht nach einem Mann, der sie aus ihrer Lehrzeit freikauft?«
Merle stieß ein kurzes Lachen aus. »Ich bezweifle, daß sie in guter Hoffnung ist. Sie wollte nicht zur ehrbaren Frau gemacht werden, nur Geld, um das Kind abzutreiben. Madges Junge hat sich möglicherweise wirklich ins Bockshorn jagen lassen und etwas herausgerückt. Nein, ich glaube nicht, daß sie einen Gatten will, nur Geld. Also sucht sie nach Gelegenheiten für ein kleines Techtelmechtel und einen Mann, der sie hinterher vielleicht dafür bezahlt.« Sie rückte hin und her und warf einen Stein weg, der sie gestört hatte. »Nun, wenn es das nicht ist, was hast du ihr dann getan?«
»Wie ich dir gesagt habe – nichts.«
»Aha. Das erklärt, weshalb sie so schlecht von dir spricht. Allerdings erst seit gestern, wenn ich’s recht bedenke, deshalb nehme ich an, dieses ›Nichts‹ hat stattgefunden, als wir anderen im Dorf waren.« Sie sah, wie meine Miene sich verfinsterte, und hob beschwichtigend die Hand. »Schon gut, schon gut, kein Wort mehr darüber. Das ist auch nicht der Grund, weshalb ich hergekommen bin, um mit dir zu reden.«
Sie wartete darauf, daß ich die offensichtliche Frage stellte. Als ich es nicht tat, mußte sie sich selbst bequemen, den Anfang zu machen: »Was willst du tun, wenn wir den Blauen See erreicht haben?«
Ich hob verwundert die Augenbrauen. »Mir meinen Lohn auszahlen lassen. Mir ein Bier gönnen und eine anständige Mahlzeit, ein heißes Bad und ein sauberes Bett, wenigstens für eine Nacht. Warum? Was hast du vor?«
»Ich dachte daran, mein Glück vielleicht in den Bergen zu versuchen.« Sie schaute aus den Augenwinkeln zu mir her.
»Um dort nach dem Ereignis zu suchen, das es wert ist, besungen zu werden?«
»Geschichte ist eher an Menschen gebunden als an Orte«, meinte sie. »Ich habe so eine Ahnung, als wärst auch du auf dem Weg in die Berge. Wir könnten zusammen reisen.«
»Du bildest dir immer noch ein, ich wäre der Bastard!«
Sie lächelte breit. »Der Bastard. Der mit der Alten Macht.«
»Du irrst dich«, sagte ich kurz. »Und selbst wenn du recht hättest – weshalb ihm in die Berge folgen? An dieser Stelle würde ich an meine Börse denken und ihn an die Soldaten des Königs verraten. Mit hundert Goldkuranten, wer braucht da noch Lieder zu dichten?«
Merle schnaubte angewidert. »Du hast mehr Erfahrung mit den Soldaten des Königs als ich,
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