Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
Kähne mit Fracht von einem Ufer zum anderen. Auch dann können die Winde tückisch sein, aber eine gute Mannschaft weiß sich mit Segel und Ruder zu behaupten. Doch um diese Jahreszeit – nicht daran zu denken. Wenn es nicht stürmt, weht der Wind nur in eine Richtung, und wenn er keinen Regen mitbringt, dann Graupel und Schnee. Er bläst einen vom Nordufer stracks bis hierher; schöne Sache, wenn man gern naß wird und friert und nichts dagegen hat, dauernd das Eis von der Takelage zu kratzen. Aber keins der Frachtschiffe macht die Fahrt von hier nach dort, nicht vor dem Frühling. Kleinere Boote setzen Passagiere über, aber nur für ein erkleckliches Sümmchen, und gefährlich ist es auch. Man bezahlt mit Gold und vielleicht auch mit dem Leben, falls der Schiffer einen Fehler macht. Du siehst nicht aus, als hättest du genug Zwirn im Beutel dafür, Mann, und erst recht nicht für des Königs Zoll, der noch dazukommt.«
Er war ein neunmalkluger Bengel, aber er wußte, wovon er redete. Überall hörte ich mehr oder weniger das gleiche: Die Berghexe hatte die Pässe geschlossen, und wer sich dennoch hinaufwagte, lief Gefahr, von Räuberbanden überfallen und ausgeplündert zu werden. Zu ihrer eigenen Sicherheit wurden Reisende und Händler an der Grenze zurückgewiesen. Krieg drohte am Horizont. Meine düsteren Ahnungen schienen sich zu bestätigen; mehr denn je war ich entschlossen, Veritas um jeden Preis zu finden. Doch wenn ich darauf beharrte, ich müsse in die Berge, und zwar auf schnellstem Wege, erhielt ich den Rat, mir die fünf Goldstücke für die Überfahrt zu besorgen und von da an viel Glück. Einmal wurde angedeutet, man wisse von einem nicht ganz astreinen Unternehmen, bei dem ein solcher Betrag herausspringen könnte. Ob ich interessiert sei? War ich nicht. Ich hatte schon genug Schwierigkeiten am Hals.
Komm zu mir.
Irgendwie, früher oder später.
Ich fand eine sehr billige Schänke, heruntergekommen und zugig, doch wenigstens roch es nicht nach Glimmkraut. Die Kundschaft konnte es sich nicht leisten. Ich bezahlte für ein Bett und bekam eine Pritsche auf dem offenen Dachboden zugewiesen. Wenigstens stieg von dem Kamin in der darunterliegenden Gaststube mit dem Qualm auch Wärme nach oben. Umhang und Kleider, über einen Stuhl neben der Pritsche drapiert, wurden zum erstenmal seit Tagen wieder durch und durch trocken. Stimmengewirr und manchmal Gegröle und Gesang bildeten die allabendliche Geräuschkulisse zu meinen Versuchen, Schlaf zu finden. Es gab keine Privatsphäre, und das heiße Bad, nach dem ich mich sehnte, bekam ich schließlich in einem Badehaus fünf Türen weiter. Doch es war ein gutes Gefühl zu wissen, wo ich nachts schlafen würde, wenn auch nicht, wie gut.
Ich hatte es nicht geplant, aber meine Unterkunft bot mir eine ausgezeichnete Gelegenheit zu belauschen, was in Blauer See die Gemüter bewegte. In der ersten Nacht erfuhr ich mehr als gewünscht über einen gewissen jungen Edelmann, der nicht eine, sondern zwei Dienstmägde geschwängert hatte und sämtliche Einzelheiten einer Schlägerei in der Spelunke zwei Straßen weiter, bei der Jake Rotnase des namengebenden Teils seiner Anatomie verlustig gegangen war, und zwar durch die Schuld von Krummarm, dem Schreiber, der sie ihm in der Hitze des Gefechts abgebissen hatte.
Am zweiten Abend unterhielt man sich über das Gerücht, zwölf Soldaten von des Königs Garde wären einen halben Tag hinter Jernigans Quelle tot aufgefunden worden, von Straßenräubern erschlagen. Bis zum nächsten Abend waren die zu erwartenden Ausschmückungen hinzugekommen: Die Toten wären von einem wilden Tier in Stücke gerissen worden. Der erste Gedanke eines jeden vernünftigen Menschen mußte sein, daß Aasfresser sich über die Leichen hergemacht hatten, aber in der Version, die man sich allenthalben erzählte, war es das Werk des verderbten Bastards gewesen, der sich in Gestalt eines Wolfs seiner eisernen Ketten entledigt hatte, um sich im Licht des Vollmonds auf die Soldaten zu stürzen und blutige Rache zu üben. Nach dem damit einhergehenden Signalement brauchte ich keine Angst zu haben, von ihnen erkannt zu werden; weder glühten meine Augen rot im Feuerschein, noch ragten mir Reißzähne aus dem Mund. Doch binnen kurzem würden andere, wirklichkeitsnähere Beschreibungen meiner Person im Umlauf sein. Edel hatte mir zu einer unverkennbaren Physiognomie verholfen. Ich begann zu begreifen, wie schwer es für Chade mit seinem pockennarbigen
Weitere Kostenlose Bücher