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Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen

Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen

Titel: Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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Ich las etwas in seinen Augen, etwas, das Molly nicht zu sehen vermochte, weil sie ihn nicht gut genug kannte, und es traf mich bis ins Mark. Er trauerte.
    »Ich habe sie gerade erst hingelegt. Sie wollte lange nicht einschlafen.«
    »Kann ich sie aufnehmen, nur für eine Minute?«
    »Nein. Du hast getrunken, und du bist kalt. Wenn du sie anfaßt, wird sie aufwachen, das weißt du. Weshalb willst du das tun?«
    Burrichs Gesicht verfiel von einer Sekunde zur anderen. Seine Stimme klang rauh, als er sagte: »Weil Fitz tot ist, und sie ist alles, was ich von ihm oder von seinem Vater noch habe. Und manchmal...« Er rieb sich mit der Hand über Stirn und Augen. »Manchmal kommt es mir vor, als wäre alles meine Schuld.« Sehr leise sprach er weiter. »Ich hätte nie zulassen dürfen, daß sie ihn mir wegnehmen, als er noch ein Junge war. Wenn ich ihn hinter mich auf ein Pferd gesetzt hätte und zu Chivalric geritten wäre... Vielleicht könnten sie beide noch leben. Fast hätte ich es getan. Er wollte nicht weg von mir, weißt du, ich mußte ihn überreden. Fast hätte ich ihn statt dessen zu Chivalric gebracht. Aber dann tat ich es doch nicht. Ich habe den Jungen ihnen überlassen, und sie haben ihn benutzt.«
    Ich spürte, wie Molly innerlich erzitterte. Ihre Augen brannten, aber sie gestattete sich nicht zu weinen, sondern wappnete sich mit Zorn. »Was redest du, er ist seit Monaten tot! Versuch nicht, durch Säufertränen mein Mitleid zu erregen.«
    »Ich weiß«, sagte Burrich. »Keiner weiß es besser als ich. Er ist tot.« Er holte tief Atem und straffte sich in der ihm eigenen Art, die ich so gut kannte. Ich sah ihn seinen Schmerz und seine Schwäche zusammenfalten und an einem geheimen Ort tief in seinem Innern verbergen. Es drängte mich, die Hand auszustrecken und sie ihm tröstend auf die Schulter zu legen, aber das war mein Impuls, nicht Mollys. Er griff nach der Klinke, dann schien ihm etwas einzufallen. »Ich wollte dir noch etwas geben.« Er nestelte an seinem Hemd. »Das hat ihm gehört. Ich – habe es ihm abgenommen, als er tot war. Du sollst es für sie aufheben, damit sie etwas von ihrem Vater hat. Er bekam es von König Listenreich.«
    Mir drehte sich das Herz im Leibe herum, als Burrich die flache Hand ausstreckte. Da lag meine Anstecknadel, der in Silber gefaßte Rubin. Molly starrte auf das Schmuckstück, ohne etwas zu sagen. Ihre Lippen waren zu einem schmalen Strich zusammengepreßt – Zorn oder unerbittliche Selbstbeherrschung. Sie hatte ihre Gefühle so tief in sich verschlossen, daß sie selbst nicht mehr wußte, wovor sie sich versteckte. Als sie keine Anstalten machte, nach der Nadel zu greifen, legte Burrich sie behutsam auf den Tisch.
    Plötzlich war mir alles klar. Er war noch einmal zur Hütte hinaufgestiegen, um mich diesmal vielleicht zu treffen und mir zu sagen, daß ich eine Tochter hatte. Doch was hatte er vorgefunden? Einen verwesten Leichnam, inzwischen vermutlich nicht viel mehr als blankgenagte Knochen, daran Fetzen meines Hemdes, und im Kragen steckte die Nadel. Der Entfremdete war dunkelhaarig gewesen, ungefähr so groß wie ich und in meinem Alter.
    Burrich glaubte, ich sei tot. Wirklich und wahrhaftig tot. Und er trauerte um mich.
    Burrich! Burrich, bitte, ich bin nicht tot. Burrich, Burrich!
    Ich tobte und wütete in seinem Bewußtsein, rannte mit meiner Gabenkraft gegen ihn an, doch wie immer gelang es mir nicht, ihn zu erreichen. Mit einem Ruck erwachte ich, schweißgebadet, zitternd, und betastete mein Gesicht, Arme und Brust, um mich zu vergewissern, daß ich kein Geist war. Zweifellos war Burrich bereits zu Chade gegangen. Sie mußten mich beide für tot halten. Bei dem Gedanken wurde mir kalt. Ein unheilvolles Omen, wenn man von allen Freunden für tot gehalten wurde.
    Ich rieb mir mit den Fingerspitzen die Schläfen. Die unvermeidlichen Kopfschmerzen kündigten sich an. Plötzlich merkte ich, daß meine sämtlichen Schutzwehren gesenkt waren, daß ich mit aller verfügbaren Gabenkraft zu Burrich gedacht hatte. In größter Hast errichtete und befestigte ich meine Wälle neu und rollte mich dann frierend in der Dunkelheit zusammen. Diesmal hatte Will nicht meine Witterung aufgenommen; aber ich konnte es mir trotzdem nicht leisten, derart unvorsichtig zu sein. Mochten meine Freunde mich für tot halten, meine Feinde wußten es besser. Ich mußte meine Mauern geschlossen halten, unter keinen Umständen durfte Will einen Weg in mein Bewußtsein finden. Zu den anderen

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