Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
auf dieser Seite aber waren die Behausungen der ärmeren Leute aus Lehmziegeln errichtet und die der alteingesessenen Kaufleute und Fischer aus Zedernholz mit einem Schindeldach. Die meisten Häuser hatten einen weißen, grauen oder hellblauen Anstrich, wodurch sie noch größer wirkten. Viele besaßen Glasfenster mit dicken Butzenscheiben.
Die Viertel am Seeufer wirkten heimisch auf mich und doch wieder fremd. Man hatte hier nicht mit Ebbe und Flut zu tun, sondern nur mit hochgehenden Wellen bei Sturm, deshalb baute man auf Pfählen weit in den See hinaus. Manche Fischer konnten ihr Boot buchstäblich an der eigenen Türschwelle festmachen; andere wiederum lieferten ihren Fang an einer Hintertür ab, und der Händler verkaufte ihn nach vorne hinaus. Ich fand es seltsam, am Gestade der weiten Wasserfläche zu stehen, ohne daß die Luft nach Salz und Jod schmeckte. Statt dessen wehte von diesem Süßwassersee ein grüner, moosiger Geruch heran. Die Möwen sahen ebenfalls anders aus. Sie hatten schwarze Flügelspitzen, waren aber ebenso gierig und räuberisch wie ihre Artgenossen an der Küste. Für meinen Geschmack gab es viel zu viele Soldaten in der Stadt. In ihren braungoldenen Waffenröcken patrouillierten sie durch die Straßen wie große Katzen auf dem Sprung. Ich vermied es, ihrem Blick zu begegnen, und gab ihnen keinen Anlaß, auf mich aufmerksam zu werden.
An Geld besaß ich fünfzehn Kurante in Silber und zwölf Kupfergroschen – das war die Summe aus meiner Barschaft plus dem, was Kujon in seinem Beutel gehabt hatte. Einige der Münzen sahen fremdländisch aus, aber sie wogen beruhigend schwer in meiner Hand. Wahrscheinlich würde man sie annehmen. Sie waren alles, was ich hatte, um mir den Weg bis zum Fuß der Berge zu ebnen und alles, was ich je zu Molly nach Hause bringen würde. Daher waren sie mir doppelt wertvoll, und ich hatte nicht vor, mehr auszugeben als unbedingt nötig. Doch andererseits war ich nicht so töricht, etwa ohne Proviant und warme Kleidung in die winterlichen Berge aufbrechen zu wollen. Etwas von meinem kleinen Vermögen mußte ich opfern; aber ich hoffte, mir die Überfahrt über den See erarbeiten und mich vielleicht auch für den Rest des Wegs bei irgendwem verdingen zu können.
In jeder Stadt gibt es ärmere Viertel und Tandlereien oder Karren, wo Leute mit den ausrangierten Gütern anderer Handel treiben. Ich wanderte herum, immer am Kai entlang, wo es am lebhaftesten zuging, und fand mich endlich in Gassen wieder, wo die meisten Läden aus Lehmziegeln errichtet waren, wenn auch mit Schindeln gedeckt. Hier gab es magere Kesselflicker, die ausgebesserte Pfannen und Töpfe feilhielten, Lumpensammler mit ihrem Karren und Krämer, bei denen man Geschirr und dergleichen kaufen konnte.
Von nun an würde mein Packen schwerer sein, doch daran ließ sich nichts ändern. Mein erster Kauf war ein stabiler Flechtkorb mit Schulterriemen, in dem ich gleich mein Deckenbündel verstaute. Und bevor der Tag zu Ende war, hatten sich dazugesellt: eine wattierte Hose, eine Steppjacke, wie das Bergvolk sie trug, und ein Paar weiche, weite Stiefel, deren Schäfte mit Lederriemen um die Waden festgeschnürt wurden. Außerdem erstand ich zwei wollene Strümpfe, Überbleibsel verschiedener Paare, aber schön warm, und an einem anderen Karren erwarb ich noch eine Wollmütze sowie einen Schal. Die einzigen Handschuhe, die meine Suche zutage förderte, waren mir zu groß. Offensichtlich waren sie von einer Bergfrau für einen Riesen von Ehegespons gestrickt, aber ich nahm sie trotzdem.
In einem winzigen Kräuterladen fand ich tatsächlich Elfenrinde und legte mir einen kleinen Vorrat zu. Auf dem benachbarten Marktplatz kaufte ich Trockenfisch, Hutzeln und hartes Fladenbrot, von dem der Bäcker mir versicherte, es würde nicht verderben und sei ich noch so lange unterwegs.
Als nächstes kümmerte ich mich um die Überfahrt. Ich ging zum Dingeplatz an den Kais, brauchte aber nicht lange, um festzustellen, daß keine Aussicht bestand, eine Heuer zu finden. »Hör zu, Kumpel«, erklärte mir ein Bursche von vielleicht dreizehn Jahren gönnerhaft. »Jeder weiß, daß die großen Kähne um diese Jahreszeit nicht auslaufen, außer es gibt was zu verdienen, und damit hapert’s. Wegen der Berghexe kommt außer Schlechtwetter nichts mehr aus den Bergen zu uns. Aber selbst wenn’s mit dem Handel besser wäre, ist im Herbst und Winter der See blank wie die Tenne nach dem Fegen. Im Sommer, da schippern die
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