Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
deshalb preßte der junge Mann den Kaufleuten von Burgstadt ab, was er brauchte, ebenso wie den bereits schwer geprüften Bauern und Schafhirten der Marken. Während nichts darauf hinwies, daß er einen besonderen Haß gegen die Küstenprovinzen hegte, fühlte er sich ihnen gegenüber auch in keiner Hinsicht sonderlich verpflichtet.
Eine Handvoll Vertreter des niederen Adels hielt sich ebenfalls in Bocksburg auf. Die meisten Landeigner befanden sich in ihren eigenen Burgen und taten, was sie konnten, um ihr Lehnsvolk zu schützen. Die ranghöchste Person, die in Bocksburg zurückblieb, war Prinzessin Philia, ehemals Königin-zur-Rechten, bis ihr Gemahl, Prinz Chivalric, zugunsten seines jüngeren Bruders Veritas von der Thronfolge zurückgetreten war. Das in der Burg stationierte Militär setzte sich zusammen aus den Soldaten der Marken, Königin Kettrickens Fähengarde sowie den wenigen Veteranen, die noch von König Listenreichs Leibgarde übriggeblieben waren. Mit der Moral stand es nicht zum Besten, denn die Soldzahlungen erfolgten unregelmäßig, und die Verpflegung war miserabel. Lord Vigilant hatte seine eigene Leibgarde mitgebracht und ließ keinen Zweifel daran, daß er sie den Bocksburgern vorzog. Zusätzlich kompliziert wurde die Situation durch Querelen in der Führung. Offiziell waren die Bocksburger dem Kommando von Hauptmann Keffel unterstellt, dem Befehlshaber von Lord Vigilants Leibgarde. In Wirklichkeit schlossen Fuchsrot von der Fähengarde, Kerf von den Bocksburgern und der alte Krapp von König Listenreichs Veteranen sich zusammen und kochten ihr eigenes Süppchen. Wenn sie jemandem regelmäßig Bericht erstatteten, war es Prinzessin Philia. Nicht lange, und es hatte sich eingebürgert, daß man von ihr als der Herrin von Bocksburg sprach.
Auch nach seiner Krönung schien Edel sich auf dem Thron nicht sicher zu fühlen. Er ließ Kundschafter in alle Himmelsrichtungen ausschwärmen, die den Aufenthaltsort von Königin Kettricken und dem ungeborenen Erben herausfinden sollten. Weil er den Verdacht hegte, sie könnte sich zu König Eyod, ihrem Vater, ins Bergreich geflüchtet haben, verlangte er von diesem ihre Auslieferung. Als Eyod erwiderte, der Aufenthaltsort der Königin der Sechs Provinzen wäre nicht Sache des Bergvolks, brach Edel erzürnt sämtliche diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu Jhaampe ab und versuchte sogar, die Grenzen auch für einfache Reisende zu sperren. Zur gleichen Zeit begann das Gerücht zu kursieren – unzweifelhaft von Edel selbst in Umlauf gebracht –, das Kind, das Kettricken unter dem Herzen trüge, wäre nicht von Veritas gezeugt und hätte deshalb keinen legalen Anspruch auf den Thron der Sechs Provinzen.
Die Zeiten waren schwer für die einfachen Leute an der Küste. Im Stich gelassen von ihrem König und verteidigt nur von einer kleinen Truppe schlecht entlohnter Soldaten, waren sie hilflos der Willkür des Schicksals und der Menschen ausgeliefert. Was die Korsaren nicht raubten, forderten Lord Vigilants Männer als Steuern ein. Auf den Straßen trieben Räuber ihr Unwesen, denn wer keine Möglichkeit hat, sich auf ehrliche Art durchzubringen, greift zu anderen Mitteln. Kleinbauern verloren die Hoffnung, auf dem eigenen Land je wieder einen Lebensunterhalt erwirtschaften zu können und zogen fort, um in den Städten der Inlandprovinzen die Schar der Bettler, Diebe und Huren zu vergrößern. Der Handel kam zum Erliegen, denn von ausfahrenden Schiffen kehrte nur selten eins zurück.
Chade und ich saßen auf der Bank vor der Hütte und redeten. Wir sprachen nicht von gewichtigen Dingen, auch nicht über die dramatischen Ereignisse der Vergangenheit. Nicht von meiner Rückkehr aus dem Grab oder der derzeitigen politischen Situation. Statt dessen berichtete Chade von kleinen, häuslichen Vorkommnissen, als wäre ich von einer langen Reise zurückgekehrt. Schleicher, das Wiesel, machte ihm Sorgen; im letzten Winter war er steif und schwerfällig geworden, und auch der Frühling hatte ihm seine sonstige Lebhaftigkeit nicht wiedergebracht. Man mußte fürchten, daß er dieses Jahr nicht überleben würde. Chade war es endlich gelungen, Wimpelstaudenblätter zu trocknen, ohne daß sie schimmelten, aber mit der Frische verloren sie auch den größten Teil ihrer Wirkung. Wir beide vermißten Köchin Saras Pasteten. Chade fragte, ob er mir irgend etwas aus meinem Zimmer bringen sollte. Edel hatte es durchsuchen lassen, und dementsprechend sah es aus,
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