Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
behandelt zu werden? Ihnen war kein Vorwurf zu machen. Sie hatten versucht, mich zu retten. Vor mir selbst, meistens, aber das änderte nichts an der guten Absicht. Es lag schwerlich an ihnen, wenn das, was sie retteten, kaum der Mühe wert war.
Sie saßen am Tisch, als ich hereinkam. Hätte ich vor ein paar Wochen gewagt, einfach aus der Hütte zu laufen, wäre Burrich bei meinem Eintreten aufgesprungen, um mich zu packen und zu schütteln und handgreiflich zu ermahnen, das nicht wieder zu tun. Unwillkürlich war ich auch jetzt noch auf der Hut. Burrichs Gesicht verriet jedoch nur Erleichterung, während Chades Miene Schuldbewußtsein und Sorge ausdrückte.
»Es war nicht meine Absicht, dich so zu bedrängen«, sagte er, bevor ich den Mund aufmachen konnte.
»Das hast du nicht«, antwortete ich ruhig. »Du hast nur den Finger auf eine schmerzende Stelle gelegt. Manchmal kommt es vor, daß ein Mann nicht weiß, wie tief seine Wunde ist, bis ein anderer daran rührt.«
Ich zog meinen Stuhl heran. Nach Wochen frugaler Kost war es überwältigend, Käse und Honig und Holunderbeerwein auf dem Tisch stehen zu sehen. Ein Laib Brot bildete die willkommene Beilage zu der Forelle, die Burrich gefangen hatte. Eine Zeitlang widmeten wir uns ausschließlich dem Essen. Die Unterhaltung beschränkte sich auf Bitten, das Brot zu reichen oder den Käse. Während der Mahlzeit schien alles beim alten zu sein, doch kaum war der Tisch abgeräumt, herrschte wieder eine Atmosphäre der Befangenheit.
»Ich verstehe jetzt deine Frage«, sagte Burrich plötzlich. Chade und ich schauten ihn verblüfft an. »Vor ein paar Tagen hast du mich gefragt, was wir als nächstes tun. Ich hatte mich mit Veritas’ Tod abgefunden. Kettricken trug seinen Erben, aber sie war nun in den Bergen in Sicherheit. Ich konnte nichts mehr für sie tun, im Gegenteil: es bestand die Gefahr, daß ich, ohne es zu ahnen, unsere Feinde auf ihre Spur brachte. Also war es klüger, keinen Staub aufzuwirbeln und sie an ihrem Zufluchtsort in Ruhe zu lassen. Wenn ihr Kind alt genug sein würde, um nach der Krone zu greifen – nun, falls ich bis dahin noch unter den Lebenden weilte, würde ich tun, was in meiner Macht stand, aber vorläufig betrachtete ich mich nicht länger als Vasall eines Königs. Deshalb sah ich nur die Notwendigkeit, für uns selbst zu sorgen, als du mich gefragt hast, wie.«
»Und jetzt?« fragte ich.
»Falls Veritas noch lebt, sitzt ein Hochverräter auf seinem Thron. Ich habe gelobt, meinem König zur Seite zu stehen. So wie Chade es gelobt hat... und du.« Er schaute mich durchbohrend an, und auch Chades Blick fühlte ich auf mir ruhen.
Lauf wieder weg.
Ich kann nicht.
Burrich zuckte zusammen, als hätte ich ihn mit einer Nadel gestochen. Würde ich einen Schritt zur Tür machen, würde er sich auf mich stürzen, um mich festzuhalten? Ihm war nichts anzusehen, er saß still und wartete schweigend ab.
»Nicht ich. Der Fitz, der Vasall des Königs war, ist tot«, antwortete ich schroff.
Burrichs Miene wurde zu Stein, aber Chade fragte ruhig: »Warum trägt er dann noch König Listenreichs Nadel?«
Ich griff an den Kragen und zog sie heraus. »Hier«, hatte ich vorgehabt zu sagen, »nimm sie und alles, was dazugehört. Ich bin fertig damit. Ich habe nicht mehr die Kraft, um den Kampf wieder aufzunehmen.« Doch ich hielt sie nur stumm in der Hand und starrte sie an.
»Noch einen Becher Wein?« fragte Chade, ohne sich mir zuzuwenden.
»Es ist kalt heute abend. Ich gieße Tee auf«, machte Burrich sich erbötig.
Chade nickte. Ich schenkte beiden keine Beachtung. Vor meinem inneren Auge sah ich meinen König und einen kleinen Jungen, dem er die Nadel an das fadenscheinige Hemd steckte. »Nun wohl«, hatte er gesagt, »jetzt gehörst du mir.« Doch Listenreich war tot. Befreite mich das von meinem Treueschwur? Und die letzten Worte, die er zu mir gesprochen hatte? »Was habe ich aus dir gemacht?« Ich schob diese Frage beiseite. Viel wichtiger, was war ich heute, nach Tod und Auferstehung? Was hatte Edel aus mir gemacht? Und hatte ich die Macht, das zu ändern?
»Edel hat es zu mir gesagt«, überlegte ich laut. »Daß ich mich nur zu kratzen brauchte und unter der Tünche käme Namenlos, der Stallbursche, zum Vorschein.« Ich hob den Kopf und zwang mich, Burrichs Blick zu begegnen. »Vielleicht lebt es sich gar nicht übel in seiner Haut.«
»Glaubst du?« fragte Burrich. »Es gab eine Zeit, da hast du nicht so gedacht. Wer bist du, Fitz,
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