Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
beigemessen! Oh, wir waren erfreut, dich von Veritas sprechen zu hören, und als du hinausgestürmt bist, sagte Burrich ›Laß den Jungen gehen, zu mehr ist er heute abend nicht fähig, er erinnert sich an seinen Prinzen‹. Mehr haben wir nicht darauf gegeben. Soll mich dieser und jener holen!« Plötzlich stand er stockstill und stieß mir den ausgestreckten Finger entgegen. »Berichte. Erzähl mir alles ganz genau.«
Ich suchte zusammen, was mein Gedächtnis hergab; es war so schwierig zu deuten, als hätte ich es durch die Augen des Wolfs gesehen. »Er fror. Er war aber am Leben. Entweder müde oder verletzt. Seltsam schwerfällig. Er bemühte sich, in mein Bewußtsein zu gelangen, aber ich wollte ihn nicht lassen, deshalb redete er mir ein zu trinken. Um meine Abwehr zu schwächen, nehme ich an...«
»Wo war er?«
»Ich weiß nicht. Schnee. Ein Wald.« Ich bemühte mich, verschwommene Bilder zu erkennen. »Ich glaube nicht, daß er selber wußte, wo er war.«
Chades grüne Augen sahen mich durchbohrend an. »Kannst du ihn erreichen, ihn spüren? Kannst du mir sagen, ob er immer noch lebt?«
Ich schüttelte den Kopf. Mein Herz begann wie ein Hammer zu schlagen.
»Kannst du jetzt zu ihm denken?«
Ich konnte wieder nur den Kopf schütteln. Mir war, als näherte sich eine kalte Hand meinem Nacken.
Chades Erregung steigerte sich mit jeder Verneinung. »Verdammt, Fitz, du mußt es versuchen!«
»Ich will nicht!« Der Aufschrei brach aus mir heraus. Ich sprang auf.
Lauf weg! Lauf schnell weg!
Und ich lief. Auf einmal war es ganz leicht. Ich ergriff die Flucht vor Chade und dem Ort meiner Verbannung, als wären sämtliche Teufel von den Hölleninseln der Outislander hinter mir her. Chade rief mir nach, aber ich verschloß meine Ohren. Ich lief, und sobald ich in den Schutz der Bäume eintauchte, war Nachtauge neben mir.
Nicht diesen Weg. Dem-wir-folgen ist dort, warnte er mich. Also ließen wir den Bach hinter uns und wandten uns hangaufwärts, wo ein dichtes Dornengestrüpp über eine Böschung wucherte, unter der Nachtauge in stürmischen Nächten Zuflucht suchte. Was war denn? Welche Gefahr? fragte er.
Ich überlegte. Er wollte, daß ich wieder bin wie früher. Ich bemühte mich, es so zu formulieren, daß Nachtauge mich verstehen konnte. Er wollte – daß ich nicht länger ein Wolf bin.
Die Erkenntnis traf mich wie ein Schlag. Plötzlich sah ich mich der Wahrheit Auge in Auge gegenüber. Ich hatte die Wahl. Ein Wolf sein, kein Gestern, kein Morgen, nur das Heute und Jetzt. Oder ein Mensch, gezeichnet von seiner Vergangenheit, mit dessen Blut Angst durch seinen Körper strömte. Ich konnte aufrecht gehen und wissen, wie es war, Scham und Ohnmacht zu empfinden. Oder auf vier Beinen laufen und vergessen, bis selbst Molly nur mehr ein angenehmer Duft war, an den ich mich erinnerte.
Ich saß unter den überhängenden Dornen, hatte die Hand auf Nachtauges Rücken gelegt, und mein Blick verlor sich an einem Ort, den nur ich sehen konnte. Allmählich wandelte sich das Licht, und der Abend wurde zur Nacht. So langsam und unausweichlich, wie die Dunkelheit sich niedersenkte, reifte mein Entschluß. Mein Herz bäumte sich dagegen auf, aber die Möglichkeiten, die mir sonst noch blieben, waren unannehmbar. Ich sammelte Kraft für mein Vorhaben.
In tiefschwarzer Nacht machte ich mich auf den Rückweg, mit eingekniffenem Schwanz schlich ich nach Hause. Es war seltsam, sich wieder als Wolf der Hütte zu nähern, im aufsteigenden Holzrauch das Tun des Menschen zu wittern und blinzelnd durch einen Spalt zwischen den Fensterläden auf das lodernde Feuer zu starren. Widerstrebend löste ich mein Bewußtsein von dem Nachtauges.
Möchtest du nicht lieber mit mir jagen?
Viel lieber würde ich mit dir jagen. Aber ich kann nicht. Nicht heute nacht.
Warum nicht?
Ich schüttelte den Kopf. Mein Entschluß war so neu und zerbrechlich, daß ich fürchtete, Worte könnten ihn zunichte machen. Am Waldrand blieb ich stehen, um mir Blätter und Erde abzuklopfen und mein Haar im Nacken zusammenzubinden. Hoffentlich war mein Gesicht nicht schmutzig. Ich straffte die Schultern und bereitete mich darauf vor, zur Hütte zu gehen, die Tür zu öffnen und ihnen gegenüberzutreten – meinen Richtern. Bestimmt hatten sie über mich gesprochen. Beide zusammen kannten so gut wie alle meine Geheimnisse. Der letzte Rest meiner mühsam bewahrten Würde verflüchtigte sich. Wie konnte ich vor ihnen stehen und erwarten, als ein Mensch
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