Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
Witterung in den Wäldern hinter der Kate verschwunden. Ich stand allein in der Tür und blickte dem Besucher entgegen.
Chade war alt geworden über den Winter, man sah es an den Furchen in seinem Gesicht, an dem Grau in seinem Haar. Doch sein Schritt war fester als früher, als hätten die Entbehrungen ihn gestählt. Jetzt endlich ging ich ihm entgegen, seltsam befangen und verlegen. Als er den Kopf hob und meiner ansichtig wurde, blieb er stehen. »Junge?« fragte er vorsichtig. Ich brachte ein Nicken und ein Lächeln zustande. Das Lächeln, das auf seinem Gesicht erstrahlte, beschämte mich. Er ließ den Stab fallen, um mich in die Arme zu schließen, und dann preßte er seine Wange gegen die meine, als wäre ich ein Kind. »Fitz, o Fitz, mein Junge«, sagte er mit vor Erleichterung rauher Stimme. »Ich dachte, wir hätten dich verloren. Ich dachte, wir hätten dir etwas Schlimmeres angetan, als dich sterben zu lassen.« Seine alten Arme umschlangen mich fest und innig.
Ich schonte den alten Mann. Ich sagte ihm nicht, daß es so war.
Kapitel 2
Sobald er sich eigenhändig zum König der Sechs Provinzen gekrönt hatte, überließ Prinz Edel Weitseher die Küstenprovinzen mehr oder weniger ihrem Schicksal. Er hatte alles zusammengerafft, was sich aus Bocksburg und den Marken an barer Münze herausholen ließ. Pferde und Vieh hatten neue Besitzer gefunden, und die besten Tiere brachte man zu Edels neuer Residenz Burg Fierant in Farrow. Auch Mobiliar und Bücherei des traditionellen Königssitzes waren gefleddert worden; einiges diente dazu, das neue Nest auszupolstern, anderes ging als Zeichen königlicher Gunst an Herzöge und Barone im Inland oder wurde ihnen um schnöden Mammon zum Kauf angeboten. Kornspeicher, Weinkeller, Waffenkammern, alles hatte man leergeräumt und die reiche Beute landeinwärts verschifft.
Edels offizielle Begründung für den Umzug lautete, der sieche alte König und die jüngst verwitwete Königin-zur-Rechten, überdies guter Hoffnung, seien im Landesinneren sicherer vor den Überfällen der Korsaren, die mit ihren Roten Schiffen die Küsten unsicher machten. Damit rechtfertigte er gleichzeitig die Plünderung der Reichtümer Bocksburgs, aber der Tod König Listenreichs und Kettrickens Verschwinden beraubten ihn dieser fadenscheinigen Camouflage. Dessenungeachtet hatte Edel nach seiner Krönung nichts Eiligeres zu tun, als Bocksburg den Rücken zu kehren. Man erzählt sich, als der Rat der Edlen seine Entscheidung kritisierte, habe er erwidert, die Küstenprovinzen repräsentierten für ihn nichts weiter als Krieg und Kosten, sie wären immer nur ein Faß ohne Boden gewesen, in das die Inlandprovinzen ihren Reichtum vergeudeten, und er gönne den Outislandern das Vergnügen, diesen trostlosen Haufen Steine zu erobern. Später sollte Edel entschieden dementieren, jemals etwas Derartiges geäußert zu haben.
Die augenblickliche Situation an der Spitze des Reiches war in der Geschichte ohne Beispiel. Das Kind, das Kettricken unter dem Herzen trug, stand nach aller Regel dem Thron am nächsten, aber die Gemahlin des verstorbenen Königs-zur-Rechten war spurlos verschwunden – unter höchst mysteriösen Umständen. Es gingen Gerüchte um, ob nicht Edel selbst dabei seine Hand im Spiel gehabt hatte. Doch auch wenn Kettricken in Bocksburg geblieben wäre, hätte ihr und Veritas’ Kind erst in seinem siebzehnten Jahr den Titel eines Königs oder einer Königin-zur-Rechten beanspruchen können. Um vollendete Tatsachen zu schaffen, war Edel sehr darauf bedacht gewesen, so schnell wie möglich die Nachfolge seines Vaters anzutreten, aber nach dem Gesetz bedurfte er der Zustimmung von allen sechs Provinzen. Er kaufte sich die Krone mit etlichen Zugeständnissen an die Küstenherzöge, unter anderem versprach er, zum Schutz der Küste Soldaten in Bocksburg zurückzulassen.
Zum Kommandanten der altehrwürdigen Feste ernannte er flugs seinen ältesten Neffen, den Erben des Titels Herzog von Farrow. Lord Vigilant war es mit fünfundzwanzig Jahren leid, darauf zu warten, daß sein Vater ihn ans Ruder ließ. Nur zu gern übernahm er den Befehl über Bocksburg und die Marken, brachte jedoch nur geringe Erfahrung mit. Edel verfügte sich landeinwärts nach Burg Fierant in Fierant am Vinfluß, während der junge Lord mit einer handverlesenen Schar Soldaten aus Farrow in Bocksburg zurückblieb. Es darf bezweifelt werden, daß Edel ihm die Mittel für den Unterhalt von Burg und Truppe zurückließ,
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