Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
mein eigenes Bewußtsein aus den Angeln. Bruder, Bruder! vernahm ich Nachtauges verstörtes Aufheulen in meinem Kopf, und Burrich wich taumelnd, wie von einer heftigen Windbö getroffen, noch weiter zurück. Es dauerte einen weiteren Augenblick, bis ich in der Lage war, eine Entschuldigung hervorzubringen. »Ein Alptraum, weiter nichts. Tut mir leid. Ich war noch halb im Schlaf, nur ein böser Traum.«
»Verstehe«, antwortete Burrich brüsk, nickte und wiederholte gedehnt: »Ich verstehe.« Er legte sich wieder hin. Doch ich wußte, was er mit verstehen meinte: daß er mir in dieser Sache nicht helfen konnte, nur das.
Die Alpträume kamen nicht jede Nacht, aber doch so häufig, daß ich begann, mein Bett zu fürchten. Burrich stellte sich schlafend; dennoch spürte ich, daß er wach lag, während ich meine nächtlichen Kämpfe ausfocht. Die Träume verblaßten nach dem Erwachen spurlos, sie hinterließen keine Bilder, Szenarien, nur ein Gefühl unbeschreiblicher Angst. Ich hatte schon früher Angst empfunden. Oft. Angst, wenn ich gegen Entfremdete kämpfte; Angst in den Schlachten gegen die Roten Korsaren, Angst bei dem Kräftemessen mit Serene. Angst, die warnte, anspornte, Angst, die zu überleben half. Aber die Traumangst war eine feige Kapitulation, ein Hoffen auf den Tod, der ihr ein Ende machte, weil mein Wille gebrochen war und ich wußte, ich würde ihnen alles sagen, um weiteren Qualen zu entgehen.
Es gibt kein Mittel gegen eine Angst wie diese oder die Scham, die danach kommt. Ich versuchte es mit Wut, ich versuchte es mit Haß. Weder Tränen noch Branntwein vermochten sie zu ertränken. Sie durchdrang mich wie ein übler Geruch und legte sich über meine sämtlichen Erinnerungen, verdunkelte mein Bild von dem, der ich gewesen war. Kein Augenblick der Freude, der Leidenschaft, des Mutes, den ich mir ins Gedächtnis rief, erschien rückblickend je wieder gänzlich ungetrübt, denn meine innere Stimme fügte jedesmal tückisch hinzu: »Ja, das warst du, früher, aber das ist vergangen, und bedenke, was du jetzt bist.« Diese zermürbende Angst begleitete mich wie ein Schatten. Ich wußte mit dumpfer Gewißheit, stellte man mich nochmals auf die Probe, würde sie von mir Besitz ergreifen und mich nie wieder loslassen. Ich war nicht mehr FitzChivalric. Ich war, was übrigblieb, nachdem die Angst ihn aus seinem Körper vertrieben hatte.
Am zweiten Tag, nachdem der Branntwein zur Neige gegangen war, sagte ich zu Burrich: »Ich komme hier zurecht, falls du nach Burgstadt hinuntergehen willst.«
»Wir haben kein Geld, um etwas zu kaufen und nichts, um es zu verkaufen.« Er klang schroff, als hätte ich Schuld daran. Beim Sprechen faltete er die Hände zusammen und klemmte sie zwischen die Knie. Mir war nicht entgangen, daß sie zitterten, wenn auch kaum merklich. »Wir müssen von jetzt an selbst für uns sorgen. Wild gibt es genug. Wenn wir hier oben verhungern, sind wir selber schuld.«
»Und dir wird nichts fehlen?«
Er musterte mich aus zusammengekniffenen Augen. »Was meinst du damit?«
»Ich meine, daß kein Branntwein mehr da ist.«
»Und du glaubst, ich kann nicht ohne auskommen?« Sein Jähzorn flammte auf. Er war merklich reizbarer geworden seit dem letzten Tropfen aus der letzten Flasche.
Ich hob die Schultern. »Es war nur eine Frage. Weiter nichts.« Ich saß still und vermied es, ihm ins Gesicht zu sehen, um ihn nicht noch mehr aufzubringen.
Nach einer Weile erklärte Burrich mit erzwungener Ruhe: »Nun, ich nehme an, das werden wir beide abwarten müssen.«
Ich ließ eine geraume Zeit verstreichen, bis ich endlich fragte: »Was werden wir tun?«
Burrich schaute mich verwundert an. »Ich habe es dir gesagt. Wir jagen, um zu essen. Das solltest ausgerechnet du ohne Schwierigkeit begreifen können.«
Ich wandte den Blick ab und nickte steif. »Ja, aber ich meinte – danach. Nach morgen.«
»Nun, an Fleisch wird es uns nicht mangeln, damit können wir uns eine Zeitlang über Wasser halten. Allerdings, früher oder später brauchen wir Dinge, die wir uns nicht selbst beschaffen oder anfertigen können. Einiges wird Chade für uns besorgen, sofern es ihm gelingt. Bocksburg dürfte inzwischen völlig kahlgefressen sein. Irgendwann werde ich für eine Zeitlang nach Burgstadt hinuntergehen müssen und sehen, ob ich Arbeit finde, aber vorläufig...«
»Nein.« Ich schüttelte den Kopf. »Du hast mich mißverstanden. Wir können uns nicht ewig hier oben verstecken, Burrich. Was kommt
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