Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
Stirnrunzeln heute?« fragte Krähe ruhig.
»Ich dachte, wie schade um diesen einst fruchtbaren Landstrich.«
»Tatsächlich?«
»Erzähl mir von deinem Propheten«, forderte ich sie auf, hauptsächlich, um das Thema zu wechseln.
»Er ist nicht mein Prophet«, wies sie mich schroff zurecht, doch sie lenkte sofort wieder ein. »Wahrscheinlich stellt sich heraus, daß meine Reise vergeblich ist, daß ich ihn, den ich suche, nicht finde. Dennoch, was könnte ich Besseres mit diesen grauen Jahren anfangen, als einem Hirngespinst nachzujagen?«
Ich schwieg. Nach meiner Erfahrung war das die einzige Frage, mit der ich bei ihr nichts falsch machen konnte. »Weißt du, was ich in diesem Karren habe, Tom? Bücher, Schriftrollen und Katalekten, aus vielen Ländern zusammengetragen. Aufzeichnungen in mannigfaltigen Sprachen und Alphabeten. Bei allen Völkern und Kulturen fand ich Hinweise auf die Weißen Propheten. Sie erscheinen an den Kreuzwegen der Zeit und formen sie. Merkwürdigerweise wird ihr Auftauchen nie vorhergesagt. An manchen Stellen heißt es, sie kommen, um dafür zu sorgen, daß die Geschichte den rechten Lauf nimmt. Es gibt Menschen, Tom, die glauben, daß die Zeit ein Kreis ist. Die gesamte Geschichte ein großes Rad, das sich unablässig dreht. Wie die Jahreszeiten kommen und gehen, wie der Mond in Ewigkeit seine Bahn zieht, so auch die Zeit. Dieselben Schlachten werden geschlagen, dieselben Seuchen wüten, dieselben Menschen, ob gut oder böse, gelangen an die Macht. Die Menschheit ist an dieses Rad gefesselt, dazu verurteilt, ständig die alten Fehler zu wiederholen – außer, jemand kommt, um es zu ändern. Weit im Süden liegt ein Land, dessen Bewohner glauben, daß es für jede Generation irgendwo in der Welt einen Weißen Propheten gibt. Er oder sie kommt zu dem auserwählten Volk, und wenn seine Lehren und Mahnungen befolgt werden, tritt die Welt in einen besseren Zyklus ein. Werden sie ignoriert, gerät die Zeit auf einen dunkleren Pfad.«
Sie schwieg, wie um mir Gelegenheit zu geben, etwas zu sagen. »Von solchen Dingen verstehe ich nichts«, gestand ich.
»Das erwarte ich auch nicht. An einem sehr fernen Ort habe ich diese Philosophie studiert. Dort lehrt man, wenn die Propheten mißachtet werden, nicht nur einmal, sondern viele Male, wird die Welt immer schlechter werden, bis der gesamte Zyklus der Zeit, Hunderttausende von Jahren, eine ununterbrochene Folge von Elend und Leid geworden ist.«
»Und wenn man auf die Propheten hört?«
»Jeder von ihnen, der Erfolg hat, ebnet den Weg für den nächsten. Und wenn in einem vollständigen Zyklus jeder Prophet Gehör findet, wird die Zeit aufhören.«
»Also streben sie danach, das Ende der Welt herbeizuführen?«
»Nicht das Ende der Welt, Tom. Das Ende der Zeit. Ihr Ziel ist es, die Menschheit vom Joch der Zeit zu befreien. Zeit, die uns altern läßt, Zeit, die uns beschränkt. Wie oft hast du dir gewünscht, mehr Zeit für etwas zu haben, oder wärst gern einen Tag zurückgegangen, um etwas Geschehenes zu ändern. Wenn die Menschheit der Tyrannei der Zeit ledig ist, kann altes Unrecht ausgemerzt werden, bevor es geschieht.« Sie seufzte. »Ich glaube, dies ist die Zeit für einen solchen Propheten, und meine Studien bringen mich zu der Annahme, daß der Weiße Prophet für diese Generation in den Bergen erstehen wird.«
»Aber du bist allein auf deiner Suche. Sind nicht andere zu der gleichen Erkenntnis gelangt?«
»Viele andere. Aber wenige, sehr wenige machen sich auf die Suche nach einem Weißen Propheten. Das Volk, dem er erscheint, ist der Prüfstein. Andere sollten sich nicht einmischen, damit nicht die Zeit für alle Ewigkeit aus dem Geleis gerät.«
Ich rätselte an dem herum, was sie über die Zeit gesagt hatte, aber je länger ich es drehte und wendete, desto weniger wurde ich klug daraus. Krähe verstummte. Ich starrte zwischen die Ohren der Stute und grübelte. Die Zeit zurückdrehen und aufrichtig zu Molly sein. Zeit, um Fedwren dem Schreiber als Famulus zu folgen, statt Lehrling eines Meuchelmörders zu sein. Sie hatte mir einiges zu denken gegeben.
Nachtauge gesellte sich kurz nach Mittag wieder zu uns. Auf einmal trabte er getreulich an meiner Seite neben unserem Karren her. Die Schecke warf ihm argwöhnische Blicke zu, verwirrt von Wolfsgeruch und dem Benehmen eines Hundes. Ich spürte zu der Stute hin und beruhigte sie. Erst nach einiger Zeit wurde Krähe auf ihn aufmerksam. Sie beugte sich vor, um an mir
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