Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
kalter Luftzug wehte durch den Raum. Noch ein Löffel Brühe. Noch einer.
»Wo?« brachte ich heraus.
»Was?« Sie beugte sich hinunter, um mir ins Gesicht zu sehen. Blaue Augen. Zu dicht vor mir. »Hast du etwas gesagt?«
Als der Löffel wiederkam, hielt ich die Lippen geschlossen. Plötzlich war die Anstrengung des Essens zu groß, auch wenn ich mich von dem wenigen, das ich zu mir genommen hatte, gekräftigt fühlte. Um mich herum schien es dunkler zu werden.
Als ich das nächstemal aufwachte, umgab mich tiefe Nacht. Alles war still, bis auf das gedämpfte Knistern des Feuers im Herd; der flackernde Schein reichte aus, um den Raum notdürftig zu erleuchten. Ich fühlte mich fieberheiß und matt, und ich hatte brennenden Durst. Auf einem niedrigen Tischchen neben meinem Bett stand ein Becher mit Wasser. Ich versuchte danach zu greifen, aber der Schmerz in meinem Rücken ließ mich innehalten. Bei der geringsten Bewegung fuhr er grimmig auf wie ein Kettenhund bei den Schritten eines Fremden.
»Wasser!« Mein Mund war so trocken, daß ich nur ein Wispern zustande brachte. Niemand kam.
Mein Gastgeber hatte sich in der Nähe des Herdes eine Bettstatt bereitet. Er schlief wie eine Katze, entspannt, aber mit der Aura unablässiger Wachsamkeit. Sein Kopf ruhte auf dem ausgestreckten Arm, und das Feuer übergoß ihn mit Licht. Ich schaute ihn an, und mein Herz stand still.
Sein Haar war glatt zurückgestrichen und im Nacken zu einem Zopf geflochten, wodurch die klaren Linien seines Gesichts betont wurden. Ausdruckslos und still glich es einer geschnitzten Maske. Die letzten Spuren knabenhafter Weichheit waren verschwunden und hatten die Züge des Mannes enthüllt, mit hageren Wangen, hoher Stirn und langer, gerader Nase. Die Lippen waren schmaler, das Kinn fester als in meiner Erinnerung. Die zuckenden Flammen verliehen seinem Gesicht Farbe, tönten die weiße Haut bernsteinfarben. Der Narr war in der Zeit unserer Trennung erwachsen geworden. Die Veränderung war fast zu groß für zwölf Monate und doch, auch mir war dieses Jahr länger vorgekommen als jedes andere in meinem Leben. Eine Zeitlang lag ich nur da und betrachtete ihn.
Seine Lider hoben sich langsam, als hätte ich ihn angesprochen. Eine Weile erwiderte er stumm meinen unverwandten Blick, dann grub sich eine steile Falte zwischen seine Brauen. Langsam richtete er sich auf, und ich sah, daß er in Wahrheit ein Geschöpf aus Elfenbein war, mit Haar in den Farben frisch gemahlenen Mehls. Seine Augen waren es, die mein Herz und meine Zunge lähmten. Sie schillerten im Feuerschein gelb wie die einer Katze. Endlich dachte ich wieder daran zu atmen. »Narr!« Meine Stimme war ein tonloses Wispern. »Was hat man dir angetan?« Ich streckte die Hand nach ihm aus, aber durch die Bewegung spannten sich die Muskeln meines Rückens, und ich fühlte, wie die Wunde erneut aufbrach. Die Welt neigte sich steil zur Seite, kenterte und ging unter.
Geborgenheit. Das war mein erster klarer Eindruck, ausgelöst von der weichen Wärme des frischen Bettzeugs und dem Kräuteraroma des Kissens unter meinem Kopf. Etwas Warmes und Feuchtes lag auf meiner Wunde und dämpfte ihr Pochen. Geborgenheit umfing mich so sanft wie die kühlen Hände, die meine erfrorenen umfaßten. Ich schlug die Augen auf, und langsam nahm das verschwommene Bild Konturen an.
Er saß an meinem Bett. Um ihn war eine Ruhe, die nichts mit innerer Gelassenheit zu tun hatte, während er über mich hinweg in den halbdunklen Raum starrte. Gekleidet war er in ein schmuckloses Gewand aus weißer Wolle mit einem runden Halsausschnitt. Die schlichte Kleidung wirkte befremdend, nachdem ich ihn immer nur in seiner buntscheckigen Narrentracht gekannt hatte. Es war, als sähe man eine grellbemalte Puppe aller Farben beraubt. Unversehens perlte zu meiner Verwunderung eine einzelne Träne über die mir zugewandte Wange.
»Narr?« Ich hatte meine Stimme wieder, wenn sie auch heiser klang.
Sofort flog sein Blick in mein Gesicht, und er sank neben mir auf die Knie. Er nahm den Becher und hielt ihn mir an die Lippen, bis ich getrunken hatte; dann stellte er ihn beiseite, um meine herabhängende Hand zu ergreifen und wieder aufs Bett zu legen. »Was sie mir angetan haben, Fitz? Götter, was haben sie mit dir gemacht, um dich so zu zeichnen? Was ist aus mir geworden, daß ich dich nicht kannte, obwohl ich dich auf meinen Armen trug?« Seine kühlen Finger wanderten über mein Gesicht, betasteten zaghaft die Narbe, die
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