Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
gebrochene Nase. »Wenn ich daran denke, wie schön du warst«, flüsterte er mit brüchiger Stimme. Einen Augenblick verharrte er regungslos; dann richtete er sich plötzlich auf und wischte sich mit dem Ärmel über die Augen, eine kindliche Geste, die mich tief berührte. Ich holte tief Atem und sammelte meine Kräfte. »Du hast dich verändert«, brachte ich mühsam heraus.
»Verändert? Ich mich? Ja, ich glaube, du hast recht. Wie hätte ich mich auch nicht verändern sollen? Ich hielt dich für tot und mein Leben für sinnlos. Und dann, in einem einzigen Augenblick, beides wiederzubekommen, dich und den Sinn meines Lebens... Meine Augen erkannten dich, und ich glaubte, mein Herz müsse stehenbleiben. Ich dachte, der Wahnsinn hätte sich meiner bemächtigt. Dann hörte ich dich meinen Namen sagen. Verändert, meinst du? Mehr, als du dir vorstellen kannst, ebensosehr, wie du dich offenbar verändert hast. In dieser Nacht kenne ich mich kaum selbst.« Noch nie hatte ich den Narren so außer Fassung gesehen. Die nächsten Worte kamen nur mühsam über seine Lippen. »Ein Jahr lang habe ich in dem Glauben gelebt, du seist tot, Fitz. Ein ganzes Jahr.«
Er umklammerte noch immer meine Hand, und ich spürte das Zittern, das ihn durchlief. Unvermittelt stand er auf. »Wir brauchen beide einen Schluck zu trinken.«
Ich schaute ihm nach, als er durch den Raum ging. Er war gewachsen, aber weniger nach Spannen in die Länge, als daß seine Glieder sich gestreckt und ausgebildet hatten. Sein Körper war nach wie vor schlank und biegsam, doch bemuskelt wie der eines Akrobaten. Mit einer Flasche und zwei Tonbechern kehrte er zurück, setzte sich auf die Bettkante und gab mir einen der Becher in die Hand. Ich brachte es fertig, ihn festzuhalten, trotz meiner erfrorenen Fingerspitzen. Als der Narr den Korken aus der Flasche zog, wehte mir der vertraute Geist des Branntweins entgegen. Machander. Der Narr schenkte uns beiden ein und trank. Ich hob den Kopf und ließ einen kleinen Schluck in meinen Mund rinnen. Die Hälfte lief in meinen Bart, und ich würgte, als hätte ich noch nie in meinem Leben Branntwein getrunken. Dann fühlte ich, wie die scharfe Wärme sich in meinem Magen ausbreitete. »Ich hätte meinen Träumen Glauben schenken sollen. Wieder und wieder träumte mir, du wärst auf dem Weg hierher, und ich hörte es dich auch sagen: ›Ich komme.‹ Aber ich glaubte felsenfest, ich hätte versagt, der Katalysator wäre tot. Ich konnte nicht einmal erkennen, wer du warst, als ich dich vom Boden aufhob.«
»Narr«, sagte ich matt. Wenn er nur still sein wollte. Ich hatte keinen anderen Wunsch, als eine Zeitlang das Gefühl der Sicherheit zu genießen und an gar nichts zu denken. Doch er merkte es nicht.
Er schaute mich an und verzog das Gesicht zu dem schlauen Grinsen, das ich von ihm kannte. »Du verstehst immer noch nicht, oder? Als uns die Nachricht erreichte, du wärst tot, daß Edel dich ermordet hätte – war mein Leben zu Ende. Noch schlimmer wurde es, als die Pilger den Weg zu mir fanden, um mir als dem Weißen Propheten zu huldigen. Ich wußte, daß ich der Weiße Prophet war, wußte es seit meiner Kindheit wie auch jene, die mich aufzogen. Ich wuchs heran in dem Bewußtsein, daß ich eines Tages nach Norden gehen würde, um dir zu begegnen und mit dir gemeinsam die Zeit auf die rechte Bahn zu bringen. Das war meine Bestimmung.
Ich war fast noch ein Kind, als ich auszog. Allein machte ich mich auf die Reise nach Bocksburg, um den Katalysator zu suchen, den nur ich erkennen würde. Und ich fand dich, und ich kannte dich, obwohl du selbst dich nicht kanntest. Ich beobachtete den schwerfälligen Gang der Ereignisse und merkte, daß jedesmal du der Stolperstein warst, der das Rad des Weltenlaufs aus seinem alten Gleis springen ließ. Ich versuchte, zu dir davon zu sprechen, aber du wolltest nicht hören. Der Katalysator? Nicht du, o nein!« Er lachte, beinahe liebevoll, trank seinen Machander in einem Zug und hielt mir dann meinen Becher an die Lippen. Ich nippte.
Der Narr stand auf, ging einmal im Zimmer herum, füllte seinen Becher neu, setzte sich wieder. »Ich sah, wie sich alles dem völligen Zusammenbruch näherte. Doch immer warst du da, die nie zuvor aufgedeckte Karte, die Seite des Würfels, die bisher nie nach oben gezeigt hatte. Als mein König starb, wie es sein mußte, gab es einen Erben des Hauses Weitseher, und Fitz Chivalric lebte noch, der Katalysator, der Wandler der Geschicke, um zu
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