Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
Prophezeiung lesen und sagen: ›Richtig, so steht es geschrieben; wie es geschehen ist, so war es vorbestimmt.‹ Niemand weiß so genau, was eine Prophezeiung bedeutet, bis sie eingetroffen ist. Es ist ungefähr wie mit einem Hufeisen. Der Schmied zeigt dir ein Stück Metall, und du sagst, das paßt nie und nimmer. Aber nachdem es ins Feuer gelegt wurde, gehämmert und gefeilt, paßt es wie angegossen auf den Huf deines Pferdes und auf keinen anderen.«
»Das hört sich an, als wolltest du sagen, Propheten biegen sich ihre Weissagungen im nachhinein zurecht, so daß sie den Ereignissen entsprechen.«
Er neigte den Kopf zur Seite. »Und ein guter Prophet, wie ein guter Schmied, zeigt dir, daß sie wie angegossen passen.« Er nahm mir den leeren Becher aus der Hand. »Du solltest längst schlafen. Morgen wird die Heilerin die Pfeilspitze aus deinem Rücken entfernen. Du wirst all deine Kraft brauchen.«
Ich nickte und merkte plötzlich, wie schwer meine Lider waren.
Ich lag bäuchlings auf der hölzernen Pritsche. Chade hielt meine Handgelenke umfaßt, der Narr saß auf meinen Oberschenkeln, und Krähe stemmte die Hände und ihr ganzes Gewicht auf meine nackten Schultern. Ich kam mir vor wie ein Schwein auf der Schlachtbank. Merle stand mit Leinenbinden und einer Schüssel heißem Wasser bereit. Als Chade meine Arme nach unten zog, fühlte es sich an, als wollte mein ganzer Körper an dem Fäulnisherd in meinem Rücken aufplatzen. Die Heilerin beugte sich über mich. Aus den Augenwinkeln sah ich die Zange, die sie in der Hand hielt. Schwarzes Eisen. Wahrscheinlich aus der Werkstatt des Hufschmieds entlehnt.
»Bereit?« fragte sie.
»Nein«, antwortete ich ächzend, aber keiner schenkte mir Beachtung. Die Frage war nicht an mich gerichtet gewesen. Den ganzen Vormittag hatte die Heilerin an mir herumgewerkelt, als wäre ich ein aus dem Leim gegangenes Spielzeug. Sie hatte mich gewalkt und Eiter und Sekrete aus der Wunde gedrückt, während ich mich gewunden und Flüche ausgestoßen hatte. Alle hatten meine Malediktionen ignoriert, bis auf den Narren, der ungebeten Verbesserungsvorschläge beigesteuert hatte. Er war wieder ganz er selbst. Vor dem Beginn der Operation hatte er Nachtauge überredet hinauszugehen, und ich fühlte, wie der Wolf ruhelos vor der Tür auf und ab lief. Ich hatte versucht, ihm begreiflich zu machen, was getan werden mußte. Während unserer gemeinsamen Zeit war er oft genug zu mir gekommen, damit ich ihm Dornen oder Stacheln herauszog, so daß er eine Vorstellung von den Schmerzen hatte, die ertragen werden mußten, um eine Besserung zu bewirken. Trotz allem teilte er meine Angst.
»Fang an.« Chade nickte der Heilerin zu. Sein Gesicht war dicht neben meinem, und sein Bart kratzte meine glattgeschabte Wange. »Tapfer, mein Junge«, sagte er leise. Das kalte Metall biß in mein entzündetes Fleisch.
»Nicht so schnaufen! Halt still!« befahl die Heilerin streng. Ich gab mir Mühe. Die Zange schob sich in meinen Rücken, stocherte und bohrte. Nach einer Ewigkeit sagte die Heilerin: »Haltet ihn fest.« Ich fühlte, wie die Backen zupackten, dann war es, als würde mir das Rückgrat aus dem Körper gerissen. Ich erinnere mich an das erste Knirschen von Metall gegen Knochen, und mein fester Entschluß, nicht zu schreien, zerbrach. Meine verkrampften Kiefer öffneten sich. Ich brüllte die Qual hinaus, und fast gleichzeitig schlugen die schwarzen Wasser über mir zusammen und zogen mich hinunter zu jenem unbestimmten Ort, den weder Schlaf noch Wachen zu erreichen vermochte und der mir während der Tage und Nächte meines Fiebers bis zum Überdruß vertraut geworden war.
Der Strom der Gabe. Ich war in ihm und er war in mir. So nah, er war immer so nah gewesen. Erlösung von Schmerzen und Einsamkeit. Strudelnde, reinigende Flut. Ich zerfaserte darin, löste mich auf wie etwas Gestricktes, wenn man am richtigen Faden zieht. Alles, was mich quälte, löste sich ebenfalls auf. Nein. Veritas’ strenges Verbot.
Zurück mit dir, Fitz. Als scheuchte er ein kleines Kind zurück, daß dem Feuer zu nahe gekommen war.
Wie ein Taucher, der langsam zur Oberfläche steigt, kehrte ich zu der harten Bank und den Stimmen über mir zurück. Das Licht erschien mir trüb. Jemand lamentierte über das viele Blut und rief nach einem Tuch voll Schnee. Ich fühlte, wie es auf meinen Rücken gedrückt wurde, während ein triefendnasser roter Lappen auf den Teppich des Narren fiel. Der Fleck breitete
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