Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
jede Einzelheit meines nächsten Reiseabschnitts plante. Im Kopf fertigte ich eine Liste all der Dinge an, die ich von Kettricken erbitten mußte, und überlegte lange, ob ich reiten sollte oder nicht. Zu guter Letzt entschied ich mich dagegen. Es gab unterwegs keine Weide, und ich wollte kein Pferd mitnehmen, nur um es sterben zu sehen. Irgendwo entlang des Weges war ich der Fähigkeit zu gedankenloser Grausamkeit verlustig gegangen. Nächster Punkt: Ich mußte um die Erlaubnis bitten, in der Bibliothek nach dem Original von Veritas’ Karte suchen zu dürfen. Auch dafür brauchte ich Kettrickens Hilfe; doch ich scheute mich davor, um eine Audienz bei ihr nachzusuchen, denn sie hatte mich nicht rufen lassen. Jeden Tag erinnerte ich mich an all diese Dinge, und jeden Tag sagte ich mir: morgen. Bislang war ich noch nicht imstande, von einem Ende Jhaampes zum anderen zu spazieren, ohne unterwegs eine Ruhepause einzulegen. Bewußt zwang ich mich dazu, mehr zu essen und meine Kräfte bis an die Grenze zu beanspruchen. Oft begleitete mich der Narr auf meinen Wanderungen, die ich jeden Tag weiter ausdehnte. Ich wußte, er haßte die Kälte, aber seine schweigsame Begleitung war mir zu lieb, als daß ich vorgeschlagen hätte, er möge drinnen im Warmen bleiben. Einmal führte er mich zu Rußflocke, und die treue Stute begrüßte mich mit solcher Freude, daß ich ihr von da an täglich einen Besuch abstattete. Ihre Trächtigkeit war bereits weit fortgeschritten. Zu Frühlingsanfang konnte man mit dem Fohlen rechnen. Sie schien gesund und munter zu sein, trotzdem machte ich mir Sorgen wegen ihres Alters. Es war erstaunlich, wieviel Trost mir Rußflockes anspruchslose Gegenwart schenkte. Die frische Narbe machte sich bemerkbar, wenn ich den Arm hob, um die Stute zu striegeln; aber ich tat es trotzdem, und Rötel ließ ich die gleiche Pflege angedeihen. Der temperamentvolle junge Hengst brauchte mehr Bewegung, als er hier bekam. Ich tat für ihn, was ich konnte, und nie hatte ich Burrich schmerzlicher vermißt.
Der Wolf kam und ging, wie es ihm gefiel. Er zockelte bei unseren Ausflügen hinter dem Narren und mir her und folgte uns anschließend ins Haus. Es war beinahe erschreckend zu beobachten, wie schnell er die Manieren eines Haushunds annahm. Der Narr murrte über die Krallenspuren an seiner Tür und die Haare auf seinen Teppichen, doch beide empfanden durchaus Sympathie füreinander. Auf dem Werktisch des Narren nahmen die Einzelteile für die Marionette eines Wolfs Gestalt an. Nachtauge entwickelte eine Vorliebe für eine bestimmte Sorte Gebäck, die auch der Narr gern aß. Wenn er sich ein Stück davon zu Gemüte führte, saß der Wolf vor ihm und verfolgte unverwandt jede Bewegung der Hand zum Mund. Dabei troff ihm der Speichel von den Lefzen und bildete Pfützen auf dem Boden, bis der Narr sich seiner erbarmte und ihm etwas abgab. Ich machte ihnen beiden Vorhaltungen, wie schädlich Süßigkeiten für seine Zähne und sein Fell waren und wurde von beiden ignoriert. Ich gebe zu, es machte mich etwas eifersüchtig zu sehen, wie schnell Nachtauge Vertrauen zu dem Narren gefaßt hatte, bis er mich eines Tages ungehalten fragte: Weshalb sollte ich nicht jemandem trauen, zu dem du Vertrauen hast? Darauf wußte ich keine Antwort.
»Nun, durch welchen Umstand bist du ein Spielzeugmacher geworden?« fiel es mir eines Tages ein zu fragen. Ich lehnte müßig am Tisch des Narren und schaute zu, wie seine Finger den Rumpf und die Gliedmaßen eines Hampelmanns auf die Zugschnur fädelten. Der Wolf lag in tiefem Schlummer zu seinen Füßen ausgestreckt.
Er zuckte die Schulter. »Nach meiner Ankunft hier gelangte ich ziemlich bald zu der Erkenntnis, daß König Eyods Hof keine Wirkungsstätte für einen Narren war.« Er seufzte. »Nicht, daß mir daran gelegen gewesen wäre, Hofnarr für einen anderen als König Listenreich zu sein. Ich war also gezwungen, nach einer anderen Möglichkeit Ausschau zu halten, mir mein Brot zu verdienen. Eines Abends, voll des süßen Weines, fragte ich mich, was ich am besten konnte. ›Nun, eine Marionette sein‹, gab ich mir zur Antwort. An den Fäden des Schicksals zum Tanzen gebracht und dann achtlos in die Ecke geworfen, um dort als Häufchen Elend auf die nächste Vorstellung zu warten. Warum nicht, statt an den Fäden zu hängen, selbst die Fäden ziehen? Am nächsten Tag setzte ich meinen Entschluß in die Tat um, und schon bald hatte ich Freude daran. Die einfachen Spielzeuge, mit denen
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