Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
wird hart. Der Weg bis zu dem Ort, an dem der Kampf stattgefunden hat, ist das leichteste Stück, doch falls Veritas von dort aus weitergezogen ist, dann auf einem der Pfade von ehedem, die auf ihrer alten Karte eingezeichnet sind, und diese Pfade existieren vielleicht nicht mehr. Ihr Vater ist ganz und gar nicht einverstanden mit ihrem Vorhaben, er denkt nur an den wohl unvermeidlichen Krieg mit Edel. ›Während du deinen Gemahl suchst, setzt dein verräterischer Schwager alles daran, unser Volk zu unterjochen‹, hat er zu ihr gesagt. Deshalb muß sie sich mit der Ausrüstung begnügen, die man ihr freiwillig überläßt, und mit den Leuten, die bereit sind, ihr zu folgen, statt gegen Edel zu kämpfen. Davon gibt es nicht viel und...«
»Ich möchte zurück zum Haus«, unterbrach ich sie matt. In meinem Kopf drehte sich alles, und mein Magen drohte sich umzustülpen. Ich hatte vergessen, wie es an König Listenreichs Hof gewesen war. Weshalb sollte es hier anders zugehen? Andere planten und trafen die notwendigen Vorbereitungen, bis man schließlich geruhte, mir zu sagen, was ich tun sollte, und ich würde es tun. War das nicht immer meine Rolle gewesen? Hierhin oder dorthin gehen und irgendeinen Menschen ermorden, dem ich nie zuvor begegnet war, und alles auf einen höheren Befehl hin. Ich wußte nicht, weshalb es mich plötzlich aus der Fassung brachte, daß man alles besprochen und geklärt hatte, ohne mich zu fragen, sogar ohne mein Wissen, als wäre ich nur ein Pferd im Stall, das darauf wartete, aufgezäumt und zur Jagd geritten zu werden.
Andererseits – war das nicht der Handel, den ich mit Chade geschlossen hatte? Daß sie mein Leben haben konnten, wenn sie dafür mein Kind in Frieden ließen? Weshalb überrascht sein? Weshalb sich überhaupt Gedanken machen? Das klügste war, zum Haus des Narren zurückzugehen, um zu schlafen und zu essen und Kräfte zu sammeln, bis man mir den Sattel auflegte.
»Geht es dir gut?« fragte Merle mich plötzlich besorgt. »Du bist furchtbar blaß.«
»Mir fehlt nichts«, versicherte ich ihr geistesabwesend. »Ich habe nur gerade darüber nachgedacht, daß es schön wäre, dem Narren eine Zeitlang beim Bau seiner Marionetten zu helfen.«
Merle runzelte die Stirn. »Ich begreife immer noch nicht, was du in ihm siehst. Weshalb ziehst du nicht in die Residenz, zu Kettricken und mir? Du brauchst kaum noch Pflege. Es ist Zeit, daß du deinen rechtmäßigen Platz an der Seite der Königin einnimmst.«
»Wenn die Königin mich ruft, werde ich zu ihr gehen«, antwortete ich pflichtbewußt. »Das ist früh genug.«
Kapitel 22
Aufbruch
Chade Irrstern hat eine einzigartige Position in der Geschichte der Sechs Provinzen inne. Obwohl niemals offiziell anerkannt, kann man aufgrund der frappierenden Familienähnlichkeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit annehmen, daß in seinen Adern das Blut der königlichen Familie floß. Wie auch immer, wer er war, ist unwichtig verglichen mit dem, was er war. Manche behaupten, er wäre schon Jahrzehnte vor dem Krieg gegen die Roten Schiffe König Listenreichs Spion gewesen. Andere bringen seinen Namen in Verbindung mit Lady Quendel, von der man fast sicher weiß, daß sie eine Giftmörderin und Diebin im Dienst der Weitseher war. Beweisen läßt sich weder das eine noch das andere.
Bekannt ist, daß Chade Irrstern ins Licht der Öffentlichkeit trat, nachdem der König von eigenen Gnaden, Edel Weitseher, Bocksburg verlassen hatte. Er stellte sich mit all seinem Wissen und Können in den Dienst von Prinzessin Philia. Sie verfügte über die Möglichkeiten, sich seines weitgespannten Netzwerks von Beziehungen zu bedienen, sowohl, um sich Informationen zu beschaffen, als auch, um ihre Ressourcen für die Verteidigung der Küste nach Bedarf zuzuteilen. Vieles deutet darauf hin, daß er anfangs die Absicht hatte, eine Gestalt im Hintergrund zu bleiben. Seine unverwechselbare Erscheinung machte dies schwierig, und schließlich gab er alle Versuche der Geheimhaltung auf. Ungeachtet seiner fortgeschrittenen Jahre wurde er so etwas wie ein Held; ein verwegener alter Haudegen, wenn man so will, der zu allen Stunden in Wirtshäusern und Schänken ein und aus ging, Edels Soldaten an der Nase herumführte, Nachrichten überbrachte und die Verteidigung an der Küste organisierte. Seine Husarenstücke brachten ihm Bewunderung ein. Unermüdlich beschwor er die Bevölkerung der Sechs Provinzen, den Mut nicht sinken zu lassen und sagte
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