Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
könnten.«
Ich bemühte mich um einen ruhigen Tonfall. »Majestät, Ihr seid einem Irrtum erlegen. Weder ich noch sie haben einen gerechtfertigten Anspruch auf den Thron. Wir sind beide illegitim.«
Kettricken schüttelte den Kopf. »Wir bedenken nicht, welcher Art die Beziehung zwischen dir und ihrer Mutter ist. Wir bedenken nur ihr Blut. Ungeachtet der Ansprüche, die du auf sie erhebst, ist durch ihre Abstammung ihr Weg vorgezeichnet. Ich bin kinderlos.« Bis zu diesem Augenblick, als ich sie es laut aussprechen hörte, war mir das Ausmaß ihres Schmerzes nicht bewußt gewesen. Eben noch hatte ich sie für herzlos gehalten; jetzt fragte ich mich, ob sie noch ganz bei Sinnen war. Soviel Kummer und Verzweiflung vermittelte dieses eine Wort. Sie sprach weiter. »Der Thron der Weitseher braucht einen Erben. Chade hat mir erklärt, daß ich allein die Bevölkerung nicht aufrütteln kann. Ich bin eine Fremde in ihren Augen. Doch ganz gleich, wie sie mich sehen, ich bin ihre Königin. Ich habe Pflichten ihnen gegenüber. Ich muß einen Weg finden, die Sechs Provinzen zu einen und die Angreifer von unseren Küsten zu vertreiben. Um das zu erreichen, braucht das Volk eine Leitfigur. Ich hatte an dich gedacht, doch Chade meint, daß man dich ebensowenig akzeptieren wird. Die Gerüchte um deinen angeblichen Tod und der Ruch der Alten Macht sind ein zu großes Hindernis. In Anbetracht dieser Umstände bleibt nur deine Tochter als Sproß des Geschlechts der Weitseher. Edel hat sich als Verräter an seinem eigenen Blut erwiesen, also muß sie Opfer für unser Volk sein. Man wird sich um sie scharen.«
Ich wagte einen Einwand zu erheben. »Sie ist noch ein Säugling, Majestät. Wie kann sie...«
»Sie ist ein Symbol. Mehr erwarten die Menschen vorerst nicht von ihr, nur, daß es sie gibt. Später wird sie in Wahrheit ihre Königin sein.«
Ich fühlte mich, als hätte mir jemand ein eisernes Band um die Brust gelegt. Sie fuhr fort: »Ich werde Chade den Auftrag geben, sie zu Uns zu bringen, wo sie behütet aufwachsen wird und wo man sie auf ihre künftige Rolle vorbereiten kann.« Sie seufzte. »Mir wäre es lieb, wenn ihre Mutter bei ihr sein könnte, doch bedauerlicherweise verlangen die Umstände, daß Wir das Kind als Unseres ausgeben. Wie ich solche Täuschungen hasse! Doch Chade hat mich überzeugt, daß es unumgänglich ist.« Mehr zu sich selbst, fügte sie hinzu: »Wir werden sagen müssen, Wir hätten ausgestreut, Unser Kind sei tot zur Welt gekommen, um Edel glauben zu machen, es gäbe keinen Erben, der seine Stellung bedroht. Mein armer kleiner Sohn. Sein Volk wird niemals wissen, daß es ihn gegeben hat. Auf diese Weise ist er Opfer für sie.«
Mein Blick hing gebannt an Kettrickens Gesicht, und wieder stellte ich fest, wie wenig Ähnlichkeit sie noch mit jener Königin besaß, die ich in Bocksburg gekannt hatte. Ich haßte, was sie sagte. Es brachte mich in Wut. Dennoch war meine Stimme beherrscht, als ich fragte: »Unumgänglich weshalb, Majestät? König Veritas lebt. Ich werde ihn finden und alles Menschenmögliche tun, um ihn zu Euch zurückzubringen. Seite an Seite werdet Ihr in Bocksburg herrschen und Eure Kinder nach Euch.«
»Werden wir das? Werden sie?« Sie schüttelte den Kopf. »Deine Voraussage mag eintreffen, FitzChivalric. Aber zu lange hab’ ich daran geglaubt, daß das Leben gerecht ist und das Gute am Ende siegt. Ich werde nicht noch einmal so einfältig sein.« Ruhig begegnete sie meinem Blick. »Ich habe die Deklaration verfaßt und Chade eine Abschrift ausgehändigt, während das Original hier im Archiv aufbewahrt wird. Deine Tochter ist die Erbin des Throns der Sechs Provinzen, FitzChivalric.«
Ich hatte mich zu lange an einen Strohhalm geklammert. Jeden Schritt des langen Weges hatte ich mich mit dem Gedanken getröstet, wenn alles vorbei war, zu Molly zurückzukehren, ihre Liebe wiederzugewinnen und meiner Tochter ein Vater zu sein. Andere Männer träumten vielleicht von Ehre oder Reichtum oder Heldentaten, die in Liedern gepriesen wurden. Ich hatte keinen anderen Wunsch, als nach vollbrachtem Tagewerk in meiner Hütte am Feuer zu sitzen, rechtschaffen müde, mit Schwielen an den Händen, und ein kleines Mädchen auf meinen Knien zu schaukeln, während eine Frau, die mich liebte, mir von ihrem Tag erzählte. Von allen Träumen, die ich je hatte aufgeben müssen, weil das Blut der Weitseher in meinen Adern floß, war dieser mir der teuerste. Mußte ich wieder verzichten? Mußte ich
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