Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
schien ihr auch jegliche Sympathie für den Bastardneffen ihres Gemahls abhanden gekommen zu sein. Sie saß vor mir als Souverän und Richter, nicht als Freundin. Ich hatte nicht damit gerechnet, diesen Verlust so schmerzlich zu empfinden.
Wider besseren Wissens erfolgte meine Erwiderung in nicht minder frostigem Ton. »Ich stelle es meiner Königin anheim, darüber zu befinden.«
Sie war unbarmherzig und hieß mich nicht mit meinem Tod beginnen, sondern Tage vorher, als wir gemeinsam die ersten Überlegungen angestellt hatten, wie wir es bewerkstelligen sollten, König Listenreich vor Edel zu schützen und ihn heimlich aus Bocksburg wegzuschaffen. Ich stand vor ihr und mußte zugeben, daß die Küstenherzöge mir das Angebot gemacht hatten, mich statt Edel als König-zur-Rechten anzuerkennen. Schlimmer noch, ich mußte ihr gestehen, daß ich zwar bei dieser Offerte standhaft geblieben war, ihnen aber zugesagt hatte, mich auf ihre Seite zu stellen und das Kommando über die Burg sowie den Schutz der Küste zu übernehmen. Chade hatte mich einmal gewarnt, damit wäre ich nur um Haaresbreite von Hochverrat entfernt gewesen, doch ich war all meiner Geheimnisse unsäglich überdrüssig und hielt mit nichts zurück. Mehr als einmal wünschte ich, Merle wäre nicht im Raum, denn ich fürchtete, irgendeines unschönen Tages – vorausgesetzt die Welt blieb bestehen – in irgendeiner Herberge oder bei einem Gastmahl auf einer Burg, dem gefällig aufbereiteten und zur Harfe gesetzten ›Schicksal FitzChivalrics‹ zu begegnen. Doch wenn meine Königin sie ihres Vertrauens für würdig hielt, stand es mir nicht zu, daran zu zweifeln.
Also fuhr ich fort mit der trostlosen Moritat. Zum ersten Mal hörte Kettricken aus meinem Mund, wie König Listenreich gestorben war, wie ich Serene in ihrer Gabentrance die Kehle durchgeschnitten und Justin durch die Gänge Bocksburgs gehetzt hatte, um ihn im Großen Saal vor aller Augen zu töten. Über meine Gefangenschaft in Edels Kerker wollte ich mit wenigen Worten hinweggehen, doch sie kannte keine Gnade, also lieferte ich ihr einen so ausführlichen Bericht meiner Leidenszeit, wie ihn selbst Burrich nicht erhalten hatte. Mehrmals drohte meine Stimme zu versagen, doch ich faßte mich wieder und sprach weiter, den Blick ins Leere gerichtet. Einmal schaute ich zu ihr hin und sah, daß ihr Gesicht schneeweiß geworden war. Chade saß regungslos auf seinem Stuhl mit versteinerten Zügen und zusammengebissenen Zähnen, als würde er meine Qualen miterleben.
Ich kämpfte mich weiter bis zum Ende der Geschichte, erzählte nüchtern von meiner Wiederauferweckung durch Burrich und Chade, von der Alten Macht, mittels derer es vollbracht worden war und von den Tagen danach. Ich erzählte von unserem Zerwürfnis, der Trennung, von meinen Wanderungen, davon, wie ich Veritas mit der Gabe berührt hatte, von meinem mißlungenen Anschlag auf Edels Leben und auch, wie Veritas mir unabsichtlich seinen Befehl mit der Gabe ins Bewußtsein gebrannt hatte.
Weiter und weiter, meine Stimme wurde heiser, Mund und Kehle trocken, doch ich machte keine Pause, bis ich nicht auch die letzte qualvolle Etappe nach Jhaampe geschildert hatte. Auch nachdem ich mit der Geschichte meiner Fährnisse und Fahrten zu Ende war, blieb ich vor ihr stehen, ausgelaugt, erschöpft. Einem beliebten Sprichwort zufolge soll es eine Erleichterung sein, Leid und Sorgen zu teilen, doch für mich war es nur ein ans Licht zerren der Kadaver von Erinnerungen, ein Aufreißen noch immer schwärender Wunden. Nach einer Weile des Schweigens fragte ich nicht ohne Boshaftigkeit: »Und ist mein Bericht geeignet, meine Fehler zu entschuldigen, Majestät?«
Doch falls ich gehofft hatte, sie damit zu treffen, mißlang mir auch das. »Du hast vergessen, von deiner Tochter zu erzählen, FitzChivalric.«
Das stimmte. Molly und das Kind hatte ich mit keinem Wort erwähnt. Furcht schnitt durch meine Seele wie kalter Stahl. »Mir schien sie kein wesentlicher Bestandteil der Geschichte zu sein.«
»Eine falsche Annahme«, rügte Königin Kettricken streng. Ich faßte den Mut, sie anzusehen. Sie hatte die Hände im Schoß gefaltet. Zitterte sie, empfand sie einen Anflug von Reue wegen ihrer nächsten Worte? Ich konnte es nicht beurteilen. »In Anbetracht ihrer Herkunft ist sie allerdings ›wesentlich‹ für dieses Gespräch. Eigentlich sollte sie hier sein, wo Wir der Erbin des Hauses Weitseher ein gewisses Maß an Sicherheit garantieren
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