Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
aufgetürmten leuchtendgelben und roten Früchte angesehen. Doch während ich den Traum zu fassen versuchte, entglitt er mir und hinterließ ein Durcheinander von Farben und Gerüchen in meinem Kopf. »Ich weiß nicht. Vielleicht habe ich doch Fieber. Oder ich bin einfach nur erschöpft. Ich gehe jetzt Holz sammeln.«
»Ich komme mit.«
Nachtauge neben mir winselte ängstlich, und ich schaute auf ihn nieder. »Was ist?« fragte ich ihn mit Menschenstimme.
Er sah zu mir auf, das Fell zwischen seinen Augen war sorgenvoll gefurcht. Du scheinst mich nicht hören zu können. Und deine Gedanken sind nicht – Gedanken.
Schon gut. Der Narr ist bei mir. Geh und such dir einen Hasen. Ich spüre deinen Hunger.
Und ich deinen, erwiderte er bedeutungsvoll.
Er verließ mich, aber nur widerstrebend. Ich folgte dem Narren tiefer in den Wald, war aber zu wenig mehr nutze, als das Holz zu tragen, das er aufklaubte und mir auf die Arme legte. Mir war, als könnte ich nicht richtig wach werden. »Hast du dich je mit etwas ungeheuer Interessantem beschäftigt und bist plötzlich zu dir gekommen und hast gemerkt, daß Stunden vergangen sind? Das Gefühl habe ich jetzt.«
Der Narr reichte mir den nächsten Zweig. »Du machst mir angst.« Er schüttelte sich. »Du sprichst fast so wie König Listenreich in den Tagen seines Siechtums.«
»Aber ihm hatte man starke Mittel gegeben, um seine Schmerzen zu betäuben«, wandte ich ein. »Ich habe nichts eingenommen.«
»Das ist es ja, was mir angst macht.«
Nebeneinander gingen wir ins Lager zurück. Wir waren so lange fort gewesen, daß Krähe und Merle selbst etwas Holz gesammelt und schon ein Feuer in Gang gebracht hatten. Die tanzenden Flammen beleuchteten das kuppelförmige Zelt und die Menschen, die sich darum zu schaffen machten. Die äsenden Jeppas außerhalb des Lichtscheins waren sich bewegende Schatten. Als wir unser mitgebrachtes Holz für später neben dem Feuer aufschichteten, blickte Krähe vom Kochtopf auf.
»Wie fühlst du dich?« fragte sie.
»Etwas besser.«
Ich hielt nach Arbeiten Ausschau, die noch getan werden mußten, aber man hatte das Lager bereits ohne mich errichtet. Kettricken saß in der Jurte, bei Kerzenschein in das Studium einer Landkarte vertieft. Krähe rührte in dem Topf mit Hafergrütze, während – kaum zu glauben – der Narr und Merle sich leise unterhielten. Ich stand verloren da und versuchte, mich an etwas zu erinnern, das ich hatte tun wollen, etwas, wobei ich gestört worden war. Die Straße, ich wollte noch einen Blick auf die Straße werfen. Ich setzte mich in Bewegung.
»FitzChivalric!«
Ich drehte mich um. Die Schärfe in Krähes Stimme hatte mich verblüfft. »Was ist?«
»Wohin gehst du?« fragte sie und räusperte sich dann verlegen, als wäre ihr plötzlich aufgefallen, daß sie mich anherrschte wie einen pflichtvergessenen Dienstboten. »Ich meine, ist Nachtauge in der Nähe? Ich habe ihn seit einer Weile nicht gesehen.«
»Er ist auf der Jagd. Wahrscheinlich kommt er bald zurück.« Ich wollte meinen Weg fortsetzen.
»Sonst ist er meistens um diese Zeit wieder hier.«
Ich blieb stehen. »In der Nähe der Straße gibt es kein Wild, meint er. Deshalb muß er weiter weg sein Glück versuchen.« Diesmal gelang es mir, ein paar Schritte zu gehen, bevor ihre Stimme mich einholte.
»Nun, das kommt mir ziemlich merkwürdig vor. Außer uns scheint seit einer Ewigkeit kein Mensch auf dieser Straße unterwegs gewesen zu sein, und trotzdem wird sie von den Tieren gemieden. Stimmt es nicht, daß Wild sich gewöhnlich den leichtesten Weg sucht?«
»Manche Tiere«, rief ich zu ihr zurück. »Andere bleiben lieber in Deckung.«
»Lauf und hol ihn zurück«, hörte ich Krähe jemandem in barschem Ton befehlen.
»Fitz!« Merles Stimme, doch es war der Narr, der mich einholte und nach meinem Arm griff.
»Ich will mir nur noch einmal die Straße ansehen.«
»Es ist dunkel. Du wirst nichts erkennen können. Warte bis morgen, wenn wir ohnehin weitergehen. Jetzt aber wollen wir zu Abend essen.«
Ich ging mit, konnte mich jedoch nicht enthalten zu bemerken: »Du bist derjenige, der sich seltsam benimmt.«
»Das würdest du nicht behaupten, wenn du den Ausdruck auf deinem Gesicht eben gesehen hättest.«
Der Speisezettel an diesem Abend bot das seit Tagen Gewohnte: dicke Hafergrütze mit Dörrapfelstücken, Trockenfleisch und Tee. Nahrhaft, aber nicht Erlebnis genug, daß mir verborgen geblieben wäre, wie die anderen mich beobachteten.
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