Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
Trugbilder, aber so deutlich, daß ich sie fast als Wirklichkeit akzeptierte. Das mühelose Gehen auf der Straße, anfangs so erholsam, schien nach und nach zu einem unwillkürlichen Eilmarsch zu werden, wie im Sog einer Macht, der ich mich nicht zu entziehen vermochte. Trotzdem kann ich nicht besonders schnell gegangen sein, denn Krähe blieb den ganzen Nachmittag an meiner Seite. Immer wieder unterbrach sie meine Gedankengänge, stellte Fragen, lenkte meine Aufmerksamkeit auf einen Vogel am Himmel, erkundigte sich nach meinem Rücken. Ich bemühte mich, ihr Antwort zu geben, doch schon im nächsten Augenblick konnte ich mich nicht mehr entsinnen, wovon die Rede gewesen war. Sie hatte jedes Recht, über meine Geistesabwesenheit den Kopf zu schütteln, aber ich konnte nichts dagegen tun. Wir kamen an einem Ast vorbei, der auf der Straße lag. Mir fiel etwas daran auf, und ich wollte es Krähe gegenüber erwähnen, nur daß der Gedanke davongeflogen war, bevor er richtig Gestalt angenommen hatte. So versunken war ich in mein zielloses Sinnieren, daß ich zusammenzuckte, als der Narr meinen Namen rief. Ich spähte nach vorn, doch nicht einmal die Jeppas waren mehr zu sehen. »FitzChivalric!« rief er wieder. Ich drehte mich herum und stellte fest, daß ich nicht nur an ihm, sondern an unserer gesamten Kolonne vorbeigewandert war. Krähe kehrte mit mir um und redete dabei murmelnd vor sich hin.
Die anderen hatten haltgemacht und bereits angefangen, die Jeppas abzuladen. »Ihr wollt doch nicht die Jurte mitten auf der Straße aufstellen?« fragte Krähe beunruhigt.
Merle und der Narr hatten die Plane aus Ziegenhaut auf dem Boden ausgebreitet. Jetzt schauten sie von ihrer Arbeit auf. »Fürchtest du den dichten Strom der Menschen und Wagen?« spöttelte der Narr.
»Sie ist flach und eben. Letzte Nacht habe ich auf einem Stein gelegen«, sagte Merle.
Krähe ging nicht darauf ein, sondern wandte sich an Kettricken. »Und wir sind aus großer Entfernung für jeden sichtbar, wie auf dem Präsentierteller. Ich halte es für besser, daß wir die Straße verlassen und im Wald unser Lager aufschlagen.«
Kettricken musterte unsere Umgebung und warf einen Blick zum Himmel. »Es ist fast dunkel. Ich glaube nicht, daß wir große Angst vor Verfolgern haben müssen. Ich meine...«
Ich zuckte zusammen, als der Narr nach meinem Arm griff und mich zur Böschung führte. »Steig hinauf«, sagte er kurz. Oben angekommen, mußte ich ungeheuer gähnen, bis meine Ohren knackten. Beinahe sofort fühlte ich mich wacher. Ich schaute auf die Straße, wo Merle und der Narr die Lederhülle zusammenlegten, um sie zu einem anderen Platz zu schaffen, Krähe sammelte die Stangen ein. »Dann haben wir uns also entschlossen, abseits der Straße zu lagern«, bemerkte ich einfältig.
»Geht es dir gut?« Der Narr musterte mich besorgt.
»Natürlich. Mein Rücken tut nicht mehr weh als sonst auch«, antwortete ich, in dem Glauben, das habe er gemeint.
»Du hast dagestanden und mit glasigen Augen die Straße entlanggeschaut. Krähe sagt, du warst schon den ganzen Nachmittag so seltsam.«
»Ich war etwas geistesabwesend.« Ich zog meinen Handschuh aus und befühlte mein Gesicht. »Ich glaube nicht, daß ich Fieber bekomme, aber so war es ungefähr – zusammenhanglose Bilder und Szenen...«
»Krähe sagt, sie glaubt, es ist diese Straße. Sie sagt, du hättest gesagt, sie wäre Gabenwerk.«
»Sie sagt, ich hätte gesagt? Nein. Das habe ich sie sagen hören, als wir auf die Straße stießen. Daß sie Gabenwerk wäre.«
»Was bedeutet ›Gabenwerk‹?«
»Erschaffen mittels der Gabe«, erklärte ich und fügte hinzu: »Nehme ich an. Ich habe nie gehört, daß man die Gabe dazu benutzt hätte, etwas zu erschaffen oder zu formen.« Grübelnd blickte ich wieder auf die Straße. Wie glatt und ebenmäßig sie war, ein reinweißes Band, dessen Ende man nicht sah, faltenlos und schnurgerade zwischen den Bäumen ausgerollt. Sie zog den Blick magisch an und fast vermeinte ich zu sehen, was hinter dem nächsten Kamm der bewaldeten Bergflanke lag.
»Fitz!«
Verärgert wandte ich meine Aufmerksamkeit von der faszinierenden Straße ab und dem Narren zu. »Was denn?«
Er zog fröstelnd die Schultern hoch. »Ich dachte, du wärst weggegangen, um Feuerholz zu sammeln, bis ich den Kopf hob und dich immer noch hier stehen sah. Was ist los mit dir?«
Ich blinzelte verwirrt. Eben noch war ich durch eine Stadt geschlendert und hatte mir die in den Marktbuden
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