Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
mehr zu tun, hätte er es getan. Es war ihm gelungen, meine Schutzwehren zu überwinden, doch viel weiter reichte seine Macht nicht. Er konnte mir nur drohen, aber auch das genügte, um mich mit namenlosem Grauen zu erfüllen.
»Bastard«, sagte er leutselig. Das Wort überschwemmte mein Bewußtsein wie eine eisige Meereswoge. Ich war durchtränkt von seiner Perfidie. »Bastard, ich weiß von deinem Kind. Und von deiner Frau, Molly. Süße Molly.« Er schwieg, und seine Belustigung wuchs im selben Maß, wie mein Entsetzen zunahm. »Ich erinnere mich an sie, Bastard. Süß wie Honig, duftend wie ihre Kerzen. Sie könnte mir wohl gefallen.«
»NEIN!«
Ich riß mich von ihm los. Dabei spürte ich für einen flüchtigen Augenblick Carrod, Burl und Will im Hintergrund. Dann war der Bann gebrochen, und ich war frei.
Ich fuhr in die Höhe, warf die Decken ab und stürzte blindlings ins Freie, ohne Stiefel, ohne Mantel. Nachtauge folgte mir dichtauf. Er knurrte und fletschte die Zähne. Der Himmel war schwarz, übersät mit Sternen, die Luft eiskalt. Ich atmete sie in tiefen Zügen ein, um die würgende Angst in mir zu betäuben.
»Was ist?« fragte Merle erschrocken. Sie hatte Wache.
Ich schüttelte nur den Kopf, unfähig, das Schreckliche in Worte zu fassen. Nach einer Weile drehte ich mich um und trat wieder in die Jurte. Schweiß lief in Strömen über meinen Körper, als hätte man mich vergiftet. Ich setzte mich ins Knäuel meiner Decken. Irgendwie konnte ich nicht genug Luft bekommen. Je mehr ich gegen die Panik ankämpfte, die mir die Brust zusammenschnürte, desto größer wurde sie. Ich weiß von dem Kind. Und von der Frau. Die Worte hallten in meinem Kopf wider und wollten nicht verstummen. Krähe regte sich unter ihrer Decke. Sie stand auf, kam zu mir und kniete sich hinter mich. Dann legte sie mir die Hände auf die Schultern. »Sie sind zu dir durchgedrungen, nicht wahr?«
Ich ruckte, versuchte zu schlucken, aber meine Kehle war trocken.
Krähe reichte mir einen Wasserschlauch. Ich trank, hustete und trank nochmals. »Denk an das Spiel«, drängte sie mich. »Denk an nichts anderes als an das Spiel.«
»Das Spiel!« schrie ich heftig und riß sowohl den Narren als auch Kettricken aus dem Schlaf. »Das Spiel? Edel weiß von Molly und Nessel. Er bedroht sie. Und ich bin machtlos! Hilflos!« Wieder fühlte ich die Panik in mir aufsteigen, die ziellose Wut. Der Wolf winselte, dann stieß er ein tiefes Knurren aus.
»Kannst du sie nicht mit der Gabe erreichen und warnen?« fragte Kettricken.
»Nein!« sagte Krähe scharf. »Er sollte nicht einmal an sie denken!«
Kettricken warf mir einen Blick zu, in dem sich Reue und ruhige Überzeugung mischten. »Ich fürchte, Chade und ich hatten recht. Die Prinzessin wird im Bergreich sicherer sein. Vergiß nicht, daß es seine Aufgabe war, sie zu holen. Vielleicht ist Nessel schon bei ihm, auf dem Weg in die Berge und außerhalb von Edels Reichweite.«
Krähe lenkte meine Aufmerksamkeit von der Königin ab und auf sich. »Fitz. Richte alle Gedanken auf das Spiel. Seine Drohungen können eine List sein, um dich dazu zu bringen, daß du sie verrätst. Sprich nicht über sie. Denk nicht an sie. Hier. Sieh her.« Ihre zitternden alten Hände schoben meine Decken zur Seite und breiteten das Spieltuch aus. Sie schüttete den Beutel aus und baute aus den weißen Steinen die Stellung vom Abend zuvor wieder auf. »Das ist deine Aufgabe. Finde die Lösung. Denke nur daran, an nichts sonst.«
Es war unmöglich. Ich starrte auf die weißen Steine und hielt das Ganze für ausgemachten Schwachsinn. Welche Spieler konnten so dumm und kurzsichtig sein, ihre Partie zu einem solchen Durcheinander weißer Steine verkommen zu lassen? Es lohnte nicht, sich über dieses traurige Fiasko den Kopf zu zerbrechen. Doch ebensowenig konnte ich mich hinlegen und schlafen. Kaum, daß ich zu blinzeln wagte vor Angst, dieses Auge wieder zu sehen. Wäre es Edels ganzes Gesicht gewesen oder beide Augen, wäre der Eindruck nicht so schrecklich gewesen. Aber dieses eine körperlose Auge, alles sehend, unentrinnbar. Ich starrte auf das Spiel, bis die weißen Steine über den Kreuzungspunkten zu schweben schienen. Ein schwarzer Stein, um das Chaos in einen Sieg zu verwandeln. Ein einziger schwarzer Stein. Ich hielt ihn in der Hand und rieb mit dem Daumen darüber.
Den ganzen nächsten Tag hielt ich den Stein in der bloßen Hand, während wir der Straße von der Höhe hinunter in tiefer gelegene
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