Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
was dein Argwohn gegen den Narren bedeuten soll oder weshalb dich meine Freundschaft zu ihm stört. Ich bedaure diese Verstimmung zwischen uns. Ich wünschte, wir könnten Freunde sein wie früher.«
»Dann haßt du mich nicht? Weil ich bezeugt habe, daß du vor meinen Ohren zugegeben hast, der Vater von Mollys Kind zu sein?«
Ich suchte in mir nach den verlorengegangenen Gefühlen; es war lange her, seit ich auch nur daran gedacht hatte. »Chade wußte bereits von ihnen«, antwortete ich ruhig. »Er würde eine Möglichkeit gefunden haben, auch wenn du nicht gewesen wärst. Er hat seine... Mittel und Wege. Und ich habe eingesehen, daß du nicht nach meinen Regeln lebst.«
»Früher einmal habe ich es getan«, sagte sie leise. »Vor langer Zeit. Bevor die Burg gebrandschatzt wurde und man mich für tot liegengelassen hatte. Danach war es schwer, an Regeln zu glauben. Alles war mir genommen worden. Alles, was gut und schön und echt gewesen war, wurde zerstört von Verderbtheit und Lust und Gier. Nein. Von noch etwas Gemeinerem als Lust und Gier, einem Trieb, den ich nicht einmal verstehen konnte. Selbst während die Korsaren mir Gewalt antaten, schienen sie kein Vergnügen daran zu finden. Wenigstens nicht die Art Vergnügen... Sie spotteten über meine Schmerzen und mein Sträuben. Die zuschauten lachten, während sie warteten, daß sie an die Reihe kamen.« Sie schaute an mir vorbei in die Düsternis der Vergangenheit. Ich glaube, sie sprach ebensosehr zu sich selbst wie zu mir – ein Versuch, etwas zu verstehen, das sich dem Verständnis entzog. »Es war, als würden sie getrieben, aber nicht von einer Lust oder Gier, die gestillt werden konnte. Sie hatten die Macht, mir Gewalt anzutun, also taten sie es. Ich hatte immer geglaubt – in kindlicher Einfalt vielleicht –, wenn man die Regeln befolgen würde, wäre man gefeit. Dann könnten einem solche Dinge nicht zustoßen. Nachher fühlte ich mich – betrogen. Getäuscht. Dumm. Weil ich geglaubt hatte, Ideale könnten mich schützen. Ehre und Anstand und Gerechtigkeit – sie sind nicht wirklich, Fitz. Wir alle tun so und halten sie vor uns wie Schilde, aber sie schützen uns nur vor solchen, die die gleichen Schilde tragen. Gegen jene, die sie abgelegt haben, sind sie kein Schutz, sondern nur zusätzliche Waffen, die diese Menschen gegen dich wenden können.«
Im ersten Augenblick fühlte ich mich wie vor den Kopf geschlagen. Noch nie hatte ich eine Frau über so etwas derart leidenschaftslos sprechen hören. Meistens wurde überhaupt nicht darüber gesprochen. Die Vergewaltigungen auf den Raubzügen der Roten Korsaren, die Schwangerschaften, die manchmal folgten, sogar die Kinder, die geboren wurden – man schwieg es tot. Plötzlich kam mir zu Bewußtsein, daß wir seit geraumer Zeit auf dem Wildwechsel standen. Die Kühle der Frühlingsnacht ließ mich frösteln. »Gehen wir ins Lager zurück«, schlug ich vor.
»Nein«, wehrte Merle schroff ab. »Noch nicht. Ich habe Angst, daß ich weinen könnte, und wenn es sich schon nicht vermeiden läßt, möchte ich es wenigstens im Dunkeln tun.«
Es war inzwischen fast tiefe Nacht, und ich führte Merle zurück zu einem breiteren Wildwechsel. Wir setzten uns auf einen umgestürzten Baumstamm. Um uns herum erfüllten die Frösche und Insekten das Dunkel mit ihren Paarungsrufen.
»Fühlst du dich besser?« fragte ich, nachdem wir eine Weile schweigend nebeneinander gesessen hatten.
»Nein, tue ich nicht«, antwortete sie brüsk. »Ich muß dir etwas erklären. Ich habe dein Kind nicht wohlfeil verkauft, Fitz. Ich habe dich nicht kaltblütig verraten. Erst fand ich es nicht einmal schlimm. Wer würde seine Tochter nicht gerne als Prinzessin sehen und später als Königin? Wer würde sich nicht schöne Kleider und prunkvolle Gemächer für sein Kind wünschen? Ich ahnte nicht, daß du oder deine Liebste es als ein Unglück betrachten könnten.«
»Molly ist meine Frau«, warf ich ein; aber ich glaube wirklich, daß sie mich nicht hörte.
»Dann tat ich es doch, auch nachdem ich wußte, daß es dir nicht gefallen würde. Weil ich wußte, daß ich mir so einen Platz hier erkaufen konnte – hier in deiner Nähe, wo ich miterleben konnte, nun ja, was immer du tun wirst. Um zu sehen, was noch kein Vagant je besungen hat, wie die Steinbildnisse heute. Weil es meine einzige Aussicht auf eine Zukunft ist. Ich muß ein großes Lied haben, einen Heldengesang. Ich muß von etwas künden, das meinen Namen berühmt
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