Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
Gabe in mir fühlte.
Doch ich hörte die anderen. Ihre Gedankenstimmen waren ein sinnloses Getöse, ein Chaos der Furcht, das in der Ferne verklang, wie von dem Gabenstrom erfaßt und weggerissen. Fast hätte ich vor Verblüffung über das, was ich spürte, nach ihnen gegriffen. Sie schienen in Stücke zerschmettert worden zu sein. Ihre schwindende Verwirrung brandete in schwächer werdenden Wellen gegen mich. Ich schloß die Augen.
Dann hörte ich Krähe, die angstvoll meinen Namen rief. Panik lag in ihrer Stimme.
Nachtauge!
Ich bin bereits auf dem Weg. Komm nach. Ich tat, wie mir geheißen.
Zerkratzt und schmutzig, ein Hosenbein zerrissen, traf ich bei der Jurte ein. Krähe stand davor und wartete auf mich. Man hatte das Feuer geschürt, um uns eine Orientierungshilfe zu geben. Als ich ihrer ansichtig wurde, beruhigte mein Herzschlag sich etwas. Halb und halb hatte ich damit gerechnet, meine Gefährten würden angegriffen. »Was ist?« rief ich schon von weitem.
»Der Narr«, antwortete sie und fügte hinzu: »Wir vernahmen einen Aufschrei und liefen hinaus. Dann hörte ich den Wolf knurren. Wir gingen dem Geräusch nach und fanden den Narren.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht genau, was ihm zugestoßen ist.«
Ich wollte mich an ihr vorbei ins Zelt schieben, aber sie hielt mich am Arm fest. Für eine alte Frau besaß sie bemerkenswert viel Kraft. Sie zog mich zu sich herum, so daß wir uns ins Gesicht schauten. »Du bist angegriffen worden?« fragte sie im Ton einer Feststellung.
»Wie man es nimmt.« In kurzen Worten berichtete ich ihr, was sich zugetragen hatte. Bei der Erwähnung der Gabenwoge wurden ihre Augen groß.
Als ich fertig war, nickte sie vor sich hin. Sie fühlte sich in ihren Vermutungen bestätigt. »Sie haben nach dir gegriffen und statt dessen ihn zu fassen bekommen. Er war ihnen schutzlos ausgeliefert. Soweit ich es beurteilen kann, haben sie ihn noch immer in ihrer Gewalt.«
»Was? Wie?« fragte ich verstört.
»Dort hinten, auf dem Marktplatz. Ihr beide wart durch die Gabe verbunden, für einen kurzen Augenblick wenigstens, durch die Macht des Steins und dessen, was du bist. Dabei entsteht eine Art... Pfad. Je häufiger es zu einer solchen Verbindung kommt, desto ausgeprägter wird der Pfad. Mit der Zeit wird daraus ein Bund, wie der Bund zwischen Mitgliedern einer Kordiale. Andere Gabenkundige können solche Verbindungen erkennen, wenn sie danach ausschauen. Oft sind sie eine Hintertür, ein unbewachter Zugang zum Bewußtsein eines Gabenkundigen. Diesmal jedoch würde ich sagen, haben sie von dem Narren Besitz ergriffen, statt von dir.«
Der Ausdruck auf meinem Gesicht veranlaßte Krähe mich loszulassen. Ich duckte mich in die Jurte. Im Glutbecken schwelte ein winziges Feuer. Kettricken kniete neben dem Narren und redete leise und beschwörend auf ihn ein. Merle saß blaß und regungslos auf ihren Decken und starrte ihn an, während der Wolf in der drangvollen Enge hin und her lief. Sein Fell war nach wie vor gesträubt.
Ich kniete neben dem Narren nieder. Der erste Blick auf ihn erschreckte mich. Ich hatte erwartet, daß er besinnungslos sein würde, doch er lag stocksteif auf seinem Lager, mit offenen Augen, und die Augäpfel rollten hin und her, als verfolge er einen furchtbaren Kampf, den wir nicht sehen konnten. Ich berührte seinen Arm. Die Härte der Muskeln und die Kälte der Haut gemahnten an einen Leichnam.
»Narr?« sprach ich ihn an. Er ließ durch nichts erkennen, daß er mich gehört hatte. »Narr!« rief ich lauter und beugte mich über ihn. Ich schüttelte ihn, behutsam zuerst, dann heftiger. Ohne Erfolg.
»Berühre ihn mit der Gabe«, forderte Krähe mich auf. »Aber sei vorsichtig. Falls sie ihn immer noch in ihrer Gewalt haben, bringst du dich ebenfalls in Gefahr.«
Ich gebe nicht gerne zu, daß ich einen Augenblick lang zögerte. Sosehr ich den Narren liebte, so groß war meine Angst vor Will. Eine Sekunde und eine Ewigkeit später streckte ich die Hand aus und legte sie auf seine Stirn.
»Hab keine Angst«, beruhigte mich Krähe und fügte dann hinzu, so daß mir das Blut in den Adern erstarrte: »Wenn sie ihn noch haben und festhalten, ist es nur eine Frage der Zeit, bis sie die Verbindung zwischen euch nutzen, um sich auch deiner zu bemächtigen. Deine einzige Chance besteht darin, sie aus seinem Bewußtsein zu vertreiben. Nun auf ins Gefecht und nicht lange gefackelt!«
Sie legte die Hand auf meine Schulter, und für einen unheimlichen
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