Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
erklärt? Ich habe Gefühle. Aber ich habe sie dem Drachen gegeben.«
Mühsam stand ich auf und entfernte mich humpelnd. Es hatte keinen Sinn, mit ihm zu sprechen. König oder Mensch, Oheim oder Freund, ich kannte ihn nicht mehr. Wenn ich zu ihm dachte, traf ich nur auf seine Mauern. Wenn ich mit der Alten Macht nach ihm spürte, fand ich nur sein Leben, das zwischen ihm und dem Drachen hin und her wanderte. Und in letzter Zeit schien es heller in dem Drachen zu brennen.
Das Lager war verlassen, das Feuer nahezu erloschen. Ich legte Holz nach, setzte mich und aß von dem Trockenfleisch. Es war nicht mehr viel übrig. Bald mußten wir wieder auf die Jagd gehen, oder vielmehr: Nachtauge und Kettricken sollten das übernehmen. Sie schienen ein gutes Gespann zu sein. Mein Selbstmitleid verlor an Würze; aber mir fiel nichts Besseres ein, als zu wünschen, ich hätte einen Schluck Machander, um es zu ertränken. Endlich, in Ermangelung reizvollerer Alternativen, ging ich zu Bett.
Ich schlief – mehr oder weniger. Drachen tummelten sich in meinen Träumen, und Krähes Spiel bekam eine seltsame Bedeutung, als ich darüber nachgrübelte, ob ein roter Stein stark genug war, um Molly zu fangen. Oft wachte ich auf und starrte in die Dunkelheit. Einmal spürte ich hinaus zu der Stelle, wo Nachtauge in der Umgebung eines kleinen Feuers durch die Dunkelheit stromerte, während Merle und der Narr abwechselnd Wache hielten. Sie hatten ihren Lagerplatz auf eine Hügelkuppe verlegt, von wo aus sie einen guten Ausblick auf die gewundene Gabenstraße unten im Tal hatten. Vielleicht hätte ich aufstehen und zu ihnen gehen sollen, aber statt dessen rollte ich mich auf die Seite und tauchte wieder in die unberechenbaren Gewässer des Schlafs. Ich träumte von Edels Truppen, die anmarschiert kamen: eine Armee in Braun und Gold, die in den Steinbruch strömte, um uns im hinteren Teil des Kessels an den lotrechten Felswänden in die Enge zu treiben und zu töten.
Am Morgen erwachte ich von der feuchten Berührung einer Wolfsnase in meinem Gesicht. Du mußt dringend auf die Jagd gehen, belehrte Nachtauge mich ernst, und ich pflichtete ihm bei. Als ich aus der Jurte trat, sah ich Kettricken von dem Postament herunterkommen. Es wurde hell, und man brauchte keine Feuer mehr. Sie konnte sich schlafen legen, doch oben bei dem Drachen ging das Klingen und Klirren und Scharren weiter. Unsere Blicke trafen sich, als ich mich aufrichtete; dann schaute sie Nachtauge an.
»Geht ihr auf die Jagd?« fragte sie uns beide. Der Wolf wischte mit der Rute hin und her. »Ich hole meinen Bogen«, sagte sie. Wir warteten. Gekleidet in ein sauberes Wams und den Bogen in der Hand, kam sie wieder zum Vorschein.
An der Drachenreiterin ging ich vorbei, ohne sie anzusehen. Als wir den Pfeiler passierten, sagte ich: »Hätten wir genug Leute, würde ich hier zwei Posten aufstellen und zwei, die die Straße bewachen.«
Kettricken nickte dazu. »Es ist seltsam. Ich weiß, sie kommen, um uns zu töten, und ich habe kaum Hoffnung, daß es uns noch gelingt, das Schicksal zu wenden. Und doch gehen wir auf die Jagd, als wäre Essen das Wichtigste auf der Welt.«
Es ist wichtig. Essen ist leben.
»Immerhin, wer leben will, muß essen«, wiederholte Kettricken Nachtauges Gedanken.
Wir sahen kein Wild, das Kettrickens Bogen würdig gewesen wäre. Der Wolf erhaschte ein Kaninchen, und sie holte einen buntgefiederten Vogel vom Himmel. Zu guter Letzt verlegten wir uns aufs Fischegreifen und hatten gegen Mittag so viele Forellen beisammen, daß wenigstens für diesen Tag die Mahlzeit gesichert war. Ich nahm die Fische aus und fragte dann Kettricken, ob sie etwas dagegen hätte, wenn ich ein Bad nähme.
»Um die Wahrheit zu sagen, es wäre ein Akt wahrer Menschenfreundlichkeit«, antwortete sie, und ich lächelte – nicht wegen ihrer Neckerei, sondern weil sie noch immer das Herz dazu hatte. Wenig später hörte ich sie ein Stück flußaufwärts von mir im Wasser planschen, während Nachtauge sich am Ufer die Sonne auf den vollen Bauch scheinen ließ.
Als wir auf dem Rückweg an Mädchen-auf-einem-Drachen vorbeikamen, fanden wir den Narren, der neben ihr auf dem Sockel lag und schlief. Kettricken weckte ihn auf und schalt ihn wegen der frischen Meißelspuren am Schweif des Drachen. Er ließ kein schlechtes Gewissen erkennen, sondern sagte nur, Merle hätte sich angeboten, bis zum Abend Wache zu halten, und er zöge es vor, hier zu schlafen. Wir bestanden darauf, daß er
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