Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
ihre Arbeit fort. Merle hatte den Carrissamen gefunden, der noch von Chade stammte, als sie Krähe bei der Suche nach Elfenrinde half. Krähe hatte ihn beschlagnahmt und daraus einen anregenden Trank gebraut, den sie und Veritas sich teilten. Nach dem Läuten der Hammerschläge zu urteilen, arbeiteten sie mit furchteinflößender Geschwindigkeit.
Merle hatte auch die Sonnenkranzkerne entdeckt, die ich vor langer Zeit auf dem Markt in Lände als möglichen Ersatz für Elfenrinde erstanden hatte. Mit einem hinterhältigen Grienen erkundigte sie sich, was ich damit wollte. Als ich es ihr erklärte, hatte sie prustend aufgelacht und war schließlich damit herausgerückt, daß man sie gemeinhin als Aphrodisiakum betrachtete. Ich rief mir die Worte des Kräuterhändlers in Erinnerung und schüttelte über mich selbst den Kopf. Die Pointe war mir klar, aber lächeln konnte ich nicht.
Nach einer Weile allein am Feuer griff ich zu Nachtauge hinaus. Wie steht’s?
Ein Seufzen. Die Mondsängerin würde lieber auf ihrer Harfe spielen. Der ohne Geruch würde lieber an seinem Stein herumklopfen. Und ich würde lieber jagen. Falls Gefahr auf dem Weg ist, ist sie noch weit entfernt.
Dann wollen wir hoffen, daß sie nicht schneller naht, als uns lieb ist. Sei wachsam, mein Freund.
Ich verließ das Lager und humpelte den Schutthügel hinauf zu dem Drachenpodest. Drei der Tatzen waren freigelegt, und Veritas arbeitete an der linken Vorderpranke. Ich stand eine Zeitlang neben ihm, doch er geruhte nicht, von mir Notiz zu nehmen, sondern hämmerte und raspelte und murmelte dabei alte Kinderreime oder Trinklieder vor sich hin. Schulterzuckend wandte ich mich ab und ging hinkend an Kettricken vorbei, die lustlos ihre Feuer schürte, zu Krähe. Sie ließ die Hände über den Schweif des Drachen gleiten. Ihre Augen hatten einen nach innen gekehrten Blick, während sie die Schuppen heraufbeschwor, sie verfeinerte und ihnen Struktur verlieh. Ein Teil des Schweifs war noch im Stein verborgen. Ich wollte mich auf den oberen Teil stützen, um mein verletztes Knie zu entlasten, doch sofort richtete Krähe sich auf und zischte mich an. »Laß das sein! Faß ihn nicht an!«
Unwillkürlich zuckte ich zurück. »Ich habe ihn schon angefaßt. Es hat ihm nicht geschadet.«
»Ihm wird es nichts schaden, aber dir.« Sie schaute zu mir auf. Steinstaub bedeckte ihr Gesicht und haftete an ihren Wimpern. Sie sah aus wie ein Gespenst, kaum mehr von dieser Welt, doch angetrieben von einer unerbittlichen inneren Kraft. »Er ist jetzt der Vollendung näher, und weil du Veritas so nahe bist, würde der Drache nach dir greifen und du könntest ihm nicht widerstehen. Er würde dich verschlingen. So stark ist er jetzt, so herrlich stark.« Die letzten Worte sagte sie beinahe zärtlich, während sie wieder mit den Händen über den Schweif streichelte. Flüchtig glaubte ich einen Schimmer Farbe im Gefolge der Berührung wahrzunehmen.
»Wird mir irgendwann jemand erklären, was das alles zu bedeuten hat?« fragte ich aufgebracht.
Krähe musterte mich mit einem sinnenden Blick. »Ich versuche es. Veritas versucht es, aber besonders du solltest wissen, wie unzulänglich Worte sind. Wir erklären und erklären und erklären, und immer noch vermag dein Verstand es nicht zu fassen. Es ist nicht deine Schuld. Worte sind nicht groß genug. Und es ist zu gefährlich, dich zu diesem Zeitpunkt in unsere Gabe einzubeziehen.«
»Werdet ihr es mir begreiflich machen können, wenn der Drache vollendet ist?«
Ein Ausdruck von Mitleid zog über ihr Gesicht. »FitzChivalric, mein lieber Freund. Wenn der Drache vollendet ist? Wenn der Drache vollendet ist, das ist der Augenblick, in dem er beginnt und wir aufhören.«
»Du sprichst schon wieder in Rätseln!«
»Aber er hat es dir doch gesagt. Und ich habe es auch gesagt, als ich den Narren warnte. Drachen ernähren sich von Leben. Einem ganzen Leben, freiwillig dargebracht. Dessen bedarf es, damit ein Drache sich in die Lüfte erhebt. Und gewöhnlich ist es nicht nur ein Leben. In früherer Zeit, wenn weise Männer nach Jhaampe gingen, kamen sie als Kordiale, als ein Ganzes, das mehr ist als die Summe seiner Teile, und gaben all das in einen Drachen. Der Drache muß gespeist werden. Veritas und ich müssen unser ganzes Selbst, jeden Augenblick unseres Lebens in ihn einfließen lassen. Für mich ist es leichter. Eda weiß, ich habe mehr als die mir zustehende Spanne von Jahren gelebt und hänge nicht mehr an diesem Körper.
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