Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
fast wilden Schweine, die einige der Nomadenstämme als Fleischlieferanten hielten. Uns kümmerte nicht, von welcher Herde dieses Halbstarke sich verlaufen hatte, wir führten es ohne viel Federlesens seiner naturgegebenen Bestimmung zu. Nachtauge durfte sich nach Herzenslust den Bauch vollschlagen, dann stellte ich unsere Freundschaft auf eine harte Probe, als ich den Rest des Fleisches in Streifen und Scheiben schnitt, die ich anschließend in der Sonne über einem langsam brennenden Feuer dörrte. Es dauerte lange, bis man annehmen konnte, daß das durchwachsene Fleisch sich halten würde, doch in den folgenden Tagen half uns dieser Notvorrat, schneller voranzukommen. Wenn sich die Gelegenheit bot, machten wir Beute, wenn nicht, konnten wir auf das Dörrfleisch zurückgreifen.
In dieser Weise kamen wir, dem Lauf des Bocksflusses folgend, langsam, aber stetig in nordöstlicher Richtung voran. Als wir uns der bedeutenden Handelsstadt Turlake näherten, schlugen wir einen weiten Bogen und orientierten uns eine Zeitlang ausschließlich nach den Sternen. Nachtauge war mehr als einverstanden mit diesem neuen Weg, der uns über zu dieser Jahreszeit mit verdorrtem, raschelndem Gras bedeckte Ebenen führte. Oft erspähten wir in der Ferne Viehherden, Rinder, Schafe oder Ziegen und gelegentlich Haragar. Von den Nomaden sahen wir nicht mehr als ab und zu einen Reiter am Horizont oder ihre Feuer zwischen den kegelförmigen Zelten, die sie aufschlugen, wenn sie an einem Platz länger zu bleiben gedachten.
In den Tagen und Nächten der Wanderschaft wurde ich wieder zu einem Wolf an der Seite eines Wolfs. Doch diesmal war ich mir dessen bewußt und sah deshalb keine Gefahr darin. Um die Wahrheit zu sagen, ich glaube, es tat mir gut. Mit einem Menschengefährten wäre das Leben schwieriger gewesen. Wir hätten über die einzuschlagende Richtung diskutiert, über den Proviant und unser Vorgehen, sobald wir Fierant erreichen würden. Der Wolf und ich aber legten in stetigem Trab Meile um Meile zurück, und all unser Sinnen und Trachten reduzierte sich auf die Bedürfnisse unseres Körpers. Während dieser Zeit wuchsen wir enger und enger zusammen.
Die Worte Rolfs des Schwarzen hatten sich mir tief eingeprägt und mir einiges zu denken gegeben. In mancher Hinsicht hatte ich Nachtauge und das Band zwischen uns als selbstverständlich betrachtet. Erst war er ein Welpe gewesen, jetzt war er mir ebenbürtig. Und mein Freund. Manche Menschen sagen ›ein Hund‹ oder ›ein Pferd‹, als wäre ein Tier wie das andere, hätte keine Persönlichkeit, keinen unverwechselbaren Charakter. Das habe ich nie verstehen können. Man muß nicht mit der Alten Macht begabt sein, um die Zuneigung eines Tieres zu schätzen und zu begreifen, daß eine solche Beziehung ebenso reich und vielschichtig ist wie die zu einem Mann oder einer Frau. Nosy war ein freundlicher, neugieriger Springinsfeld gewesen, Fäustel dagegen zäh und angriffslustig, mit einem etwas grimmigen Humor begabt und bereit, jeden ins Bockshorn zu jagen, der ihm nicht Paroli bieten konnte. Nachtauge ließ sich mit ihnen so wenig vergleichen wie mit Burrich oder Chade. Es ist kein Mangel an Wertschätzung ihnen gegenüber, wenn ich sage, daß ich ihm am nächsten war.
Er konnte nicht zählen. Doch ich war nicht in der Lage, aus der Witterung eines Rehs zu entnehmen, ob es sich um einen Bock oder eine Ricke handelte. Wenn er nicht weiter dachte als bis zum nächsten Hunger, war ich dafür nicht der unbedingten Konzentration fähig, mit der er sich an ein Wild anpirschte. Zwischen uns gab es keine Befehle, nicht die Erwartung widerspruchslosen Gehorsams. Meine Hände waren nützliche Werkzeuge, um Stachelschweinborsten und Zecken und Dornen zu entfernen und um besonders heftig juckende und unerreichbare Stellen an seinem Rücken zu kratzen.
Durch meine Größe hatte ich einen gewissen Vorteil, wenn es darum ging, nach Wild auszuspähen oder die Gegend vor uns zu überblicken. Deshalb, selbst wenn er mich wegen meiner ›Kuhzähne‹ verspottete, wegen meiner schlechten Nachtsicht und einer Nase, die er als einen nutzlosen Klumpen zwischen meinen Augen bezeichnete, schaute er nicht auf mich herab. Wir wußten beide, seinem Jagdgeschick verdankten wir das meiste von dem Fleisch, das wir aßen. Doch niemals neidete er mir einen gleichen Anteil. Man finde das bei einem Menschen!
»Platz, Hund!« befahl ich ihm einmal, im Spaß. Ich war gerade dabei, mit der gebotenen Vorsicht ein
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