Die Legende von Carter Prewitt
Shoshonen sind bereits auf uns aufmerksam geworden«, klärte er Joshua McGregor auf und ihm blieb dessen Erschrecken nicht verborgen. »Wahrscheinlich verfolgen ihre Späher uns schon seit einiger Zeit auf Schritt und Tritt.«
»Sind die Shoshonen den Weißen gegenüber feindlich eingestellt?«, fragte Heather bang.
»Das weiß man bei Indianern nie«, versetzte Carter Prewitt. »Vielleicht verlangen sie nur Wegezoll, vielleicht wollen sie aber auch unsere Skalps und alles andere obendrein.« Er vollführte eine umfassende Armbewegung über die Kette der Fuhrwerke. An den Prediger gewandt fuhr er fort: »Wir ziehen weiter, bis es finster ist.«
Er setzte sich wieder an die Spitze des Zuges.
Unaufhaltsam schob sich die Wagenkarawane nach Westen. Eine breite Schlammspur blieb zurück. Die Hufe wühlten den weichen Boden auf. Tief zerschnitten die Räder das morastige Erdreich, die Hufe wühlten es auf. Der Himmel war grau und drohend bis zum Horizont.
Ein Seitenarm des Flusses, dem sie bisher gefolgt waren, bedeutete für diesen Tag Endstation. Er war zwar nicht sehr tief, aber es war schon ziemlich dunkel und Carter Prewitt wollte nichts herausfordern. Sie bildeten eine Wagenburg. Die Ochsen und Maultiere wurden getränkt und in die Wagenburg gebracht. Schafe, Ziegen, Kühe und Ersatzzugtiere wurden ebenfalls zum Fluss getrieben und blieben dort, von vier Männern bewacht, für die Nacht stehen.
Carter Prewitt teilte Wachen ein. Die Männer nahmen ihre Gewehre und postierten sich an verschiedenen Stellen außerhalb des Lagers. Zwischen die Fuhrwerke senkte sich bald Stille.
Carter Prewitt und Joana lagen auf der Ladefläche ihres Fuhrwerks. Er hatte seinen linken Arm um ihren Nacken gelegt. Sie schmiegte sich eng an ihn.
Das entfernte Heulen eines Wolfes trieb heran.
»Hörst du den Wolf?«, fragte Joana voll Beklemmung.
»Ja.«
»Was denkst du - ist er echt?«
»Ich weiß es nicht.« Carter Prewitt wandte ihr das Gesicht zu. Die Finsternis unter der Plane war mit den Augen kaum zu durchdringen. Die Gesichter waren nur helle Flecke. »Einer muss den Treck führen, Darling«, murmelte Carter Prewitt.
»Ich weiß.«
»Von all den Männern, die mit uns auf dem Trail sind, dürfte ich der am Besten geeignete Mann für diesen Job sein. Ich hatte keine andere Wahl. Ich musste die Verantwortung für den Wagenzug übernehmen.«
»Du willst von mir die Bestätigung, dass ich dafür Verständnis habe, nicht wahr?«
»Jeder hier hat seinen Platz. Jeder muss die Aufgabe, die ihm zugewiesen ist, zu hundert Prozent erfüllen. Ich durfte diese Leute nicht im Stich lassen, wenn ich die Achtung vor mir selbst nicht verlieren wollte. Ja, Darling, ich will, dass du das verstehst. In unserer Situation muss ein Mann Prioritäten setzen. Priorität ist, dass dieser Wagenzug sicher in Oregon ankommt. Ich tue es auch für mich und dich und unser Kind.«
Sie hauchte ihm einen Kuss auf die Lippen. »Ich habe volles Vertrauen zu dir, Carter. Du tust das Richtige. Nein, du konntest dich der Verantwortung nicht entziehen. Ich bin stolz auf dich.«
Es klang einfach und ehrlich.
»Ich liebe dich, Joana.«
Ihre Gefühle übermannten sie. Vergessen war die Gefahr, die sie umgab. Sie trieben in einem Stadium der Glückseligkeit, wie sie es schon lange nicht mehr erlebt hatten.
*
Das Wolfsgeheul erklang von einer anderen Stelle.
Joana drängte sich enger an Carter Prewitt.
Die Realität hatte die beiden verliebten Menschen wieder eingeholt. Beklemmung stellte sich ein, vielleicht auch Furcht. Möglicherweise schärfte der Tod schon seine Sense.
Niemand fand in dieser Nacht richtig Schlaf. Und als der Morgen graute, waren die Menschen übernächtigt, bleich und unter ihren Augen lagen dunkle Ringe. Verdrossenheit und Angst beherrschten sie. Keiner der Männer legte seine Waffe aus der Hand. Joshua McGregor starrte Carter Prewitt mit einem sonderbaren Ausdruck in den müden Augen an.
Und plötzlich schrie jemand: »Da kommen Indsmen! Ein ganzer Pulk!«
Innerhalb des Wagenringes herrschte jähe Atemlosigkeit.
»Keine Panik!«, mahnte Carter Prewitt ruhig. »Sieht aus, als wollten sie verhandeln. Nehmt eure Gewehre zur Hand, aber schießt auf keinen Fall auf sie.«
»Wenn wir einige von ihnen von den Pferden knallen, machen wir ihnen vielleicht klar, dass wir uns vor ihnen nicht fürchten!«, presste Cole Shaugnessy, dessen Frau beim Angriff durch die Sioux ums Leben gekommen war, zwischen den Zähnen hervor. Sein Hass
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