Die Legende von Richard und Kahlan 01 - Goodkind, T: Legende von Richard und Kahlan 01 - The Omen Machine
abzulenken, während sie weiter an den Zweigen und Schlingpflanzen herumsäbelte.
»Ich hab Euch doch gekratzt. Dabei wollte ich das gar nicht, wirklich nicht. Ich konnte mich bloß nicht dagegen wehren. Ich …«
»Schon gut«, meinte Kahlan, während sie vorsichtig den letzten dornenübersäten Ast wegschnitt, der ihn festhielt. Dann beugte sie sich vor, ganz darauf konzentriert, eine sichere Stelle zu finden, wo sie ihn packen und von dem Jungen lösen konnte, ohne diesen weiter zu verletzen. »Schon gut, ganz ruhig jetzt.« Überall auf seiner Brust, an Armen und Beinen hatte er Stichwunden, die ohne Zweifel schmerzhaft waren, aber nicht lebensbedrohlich schienen.
»Lauft fort«, sagte er mit matter Stimme.
Kahlan musterte ihn stirnrunzelnd. »Wer hat dir das angetan? Wo sind wir hier eigentlich?«
»Ihr müsst fortlaufen«, wiederholte er. »Flieht, bevor sie Euch auch noch erwischen.«
Sie nahm seinen Arm, legte ihn sich um die Schultern und hob ihn vorsichtig heraus; als sich dabei die Dornen aus der Haut auf seinem Rücken lösten, zuckte er zusammen, zumal einige mit Widerhaken versehen und ziemlich widerspenstig waren. Als sie ihn endlich befreit hatte, stellte sie ihn hin und zog ein Hemd aus ihrem Rucksack.
»Ihr müsst fortlaufen«, drängte er sie erneut, während sie ihm das Hemd über die Schultern streifte.
»Das kann ich nicht. Ein Rudel wilder Hunde hat mich bis hierher verfolgt; wenn ich wieder zurücklaufe, werden sie mich erwischen.«
Sein Unterkiefer fiel schlaff herab. »Ihr seid von den Hunden hierhergejagt worden?« Als sie nickte, meinte er: »Ich auch. Aber hier drinnen ist es noch viel schlimmer. Ihr müsst fortlaufen. Flieht.«
Sie kam gar nicht mehr dazu nachzufragen, weil Henrik bereits kehrtmachte und den Weg zurückrannte, den Kahlan gekommen war. Dabei schrie er immer wieder: »Lauft weg!«
Kahlan stand da wie versteinert und starrte ihm hinterher, wie er durch die Tunnelgänge zurücklief und schließlich außer Sicht verschwand. In dieser Richtung waren die Hunde … und überhaupt … sie war mit ihren Kräften am Ende … wusste nicht mal, ob sie sich noch länger auf den Beinen halten konnte …
Just in diesem Moment schob sich eine Hand unter Kahlans Arm. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass sich die Frau in dem Kapuzenumhang von hinten genähert hatte.
»Hier entlang«, sagte sie gedehnt mit leiser, fisteliger Stimme.
»Wer seid Ihr?«, brachte Kahlan hervor, doch allein das überforderte beinahe ihr Kräfte.
Nun erschien eine zweite Gestalt und schob ihr eine Hand unter den anderen Arm; wie die erste Frau, so war auch diese mit einem Kapuzenumhang bekleidet. Vereint stützten sie Kahlan und führten sie schließlich weiter nach hinten, in einen dunkleren Raum.
Die beiden Gestalten waren von einem bläulichen, gespenstischen Schimmer umgeben, so dass Kahlan für einen kurzen Moment glaubte, sie sei gestorben und werde soeben in die Welt der Seelen aufgenommen. Doch der Gedanke verblasste rasch; so merkwürdig dieser Ort war, die Welt der Seelen war es ganz sicher nicht.
Sie hatte keine Ahnung, was hier vorging, und nach Henriks hektischer Warnung wäre sie liebend gerne fortgelaufen, doch dafür fehlte ihr die Kraft.
»Wir haben dich bereits erwartet«, meinte die gebeugte Gestalt zu ihrer Rechten und fasste ihren Arm fester.
Die beiden schimmernden Gestalten zerrten sie in einen größeren, mit Flaschen, Gläsern, Gefäßen und kleinen Kästchen aller Art vollgestellten Raum hinein; wo immer sich ein freies Plätzchen finden ließ, waren die bunten Glasbehälter in die Wand gestopft worden, andere, wie auch einige Tongefäße und -krüge, standen dicht zusammengeschoben überall auf dem Fußboden herum. Über einer niedrigen Schale mitten im Raum stieg, in feinen Schwaden, beißender Rauch auf.
Als sie zur Mitte des Raums hingezerrt wurde, löste Kahlan ihren Blick von der seltsamen Ansammlung von Behältnissen und sah sich plötzlich einer zierlichen Frau gegenüber, die soeben im Begriff war, sich zu erheben.
Sie war nicht eben groß; in dem trüben Licht war es schwierig, mehr zu erkennen als ihre knabenhafte Figur und das schulterlange Haar.
Und dann beugte sie sich vor und bedachte Kahlan mit einem breiten Grinsen ihrer nahezu vollständig zugenähten Lippen.
Die blanke Bosheit, die aus diesem Grinsen wie auch aus den dunklen Augen sprach, ließ Kahlan erstarren.
Die Frau mit den zugenähten Lippen gab einige leise schrille, gedehnte Schnalzlaute
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