Die Legende von Shannara 02: Die Herrschaft der Elfen
nichts und niemand wird dir etwas antun.
Vielleicht nicht.
Aber woher sollte sie das wissen? Woher sollte sie überhaupt irgendetwas wissen?
Mittlerweile hatten sich ihre Augen an die veränderten Lichtverhältnisse angepasst, an die Dämmerung, und sie konnte erkennen, wo sie sich befand. Sie war in einem breiten, höhlenartigen Tunnel mit rauen Felswänden. Von der Decke hingen Wurzeln und Schlingpflanzen herab, zerbrochene Felsbrocken und kleine Pfützen übersäten den Boden. In den Seitenwänden des Ganges glühten phosphoreszierende Adern und verschwanden in der Ferne. In der Nähe tropfte Wasser, langsam und regelmäßig. Wenn sie atmete oder ihre Stiefel über den Boden kratzten, hallte das Echo durch die Höhle.
Ansonsten war alles still.
Sie sah sich um und versuchte, ihre Situation einzuschätzen. Der Gang, in dem sie stand, führte in beide Richtungen weiter, als sie sehen konnte. Es gab keinerlei Anzeichen dafür, wie sie hierhergekommen war, nichts, was auf ein Portal hindeutete, durch das sie hier eingedrungen wäre. Sie hätte ebenso gut von der Hand eines Giganten aufgehoben und hier abgesetzt worden sein können. In den Wänden um sie herum gab es weder Türen noch Gänge. Sie konnte entweder bleiben, wo sie war, oder vorwärts oder rückwärts gehen. Das war alles.
Mittlerweile hatte sie sich zumindest wieder so weit gesammelt, dass sie wusste, was sie wollte, also entschloss sie sich weiterzugehen. Dann blieb sie stehen, drehte sich um und ging ein kurzes Stück zurück. Vielleicht konnte sie zu ihrem Ausgangspunkt zurückkehren, indem sie einfach nur ihren Schritten zurück folgte.
Aber als sie zehn Meter gegangen war und nichts passierte, war ihr klar, dass sie nicht zurückkommen würde. Jedenfalls nicht auf diesem Weg.
Also drehte sie sich erneut um und setzte ihren Erkundungsgang fort. Sie ging lange; ihr Atem klang harsch in ihren Ohren, und ihre Schritte hallten durch die Stille. Sie wünschte sich, sie hätte genug Essen und Wasser mitgenommen, doch dann wurde ihr klar, dass sie auf ihrer Flucht ja gar nichts bei sich gehabt hatte. Sie besaß nur die Kleidung auf ihrem Leib, das Langmesser, das Xac Wen ihr gegeben hatte, und den verzweifelten Wunsch, ihre Großmutter zu finden.
Die Lage wäre ihr ein wenig erträglicher vorgekommen, wenn sie eine Ahnung gehabt hätte, wo sie sich überhaupt befand. Sicher, sie wusste, dass sie in einem höhlenartigen Gang war. Sie wusste ebenfalls, dass er unter der Erde lag. Aber wo? Irgendwo in Arborlon oder ganz woanders? Hier war Magie am Werke, dessen war sie sicher. Aber hatte diese Magie zu ihrem Vorteil gewirkt oder nicht? Wenn es Mistrals Magie war, befand sie sich nicht in Gefahr. War es jedoch die Magie von jemand anderem, wie sollte sie sich dann sicher sein, was mit ihr geschah? In dem Fall wusste sie nicht einmal, ob sie überhaupt noch innerhalb des Tals war. Möglicherweise war sie weit weg transportiert worden. Sie könnte überall sein.
Aber wer würde so etwas tun, wenn nicht Mistral?
Sie zwang sich, die Sache logisch zu durchdenken. Mistrals Avatar war zu ihr gekommen, hatte sie vor der Gefahr gewarnt und ihr gesagt, wie wichtig es wäre, die Elfensteine zu holen. Ihre Botschaft, die sie mit feurigen Buchstaben in die Luft geschrieben hatte, hatte Phryne zum Bogen der Belloruus geschickt. Also lag es nahe anzunehmen, dass die Magie ihrer Großmutter und nicht die von jemand anderem sie hierhergebracht hatte. Ansonsten wäre das eine überflüssig komplizierte Falle gewesen, die eine ihr unbekannte Person oder Personen ihr gestellt hätten, und das war einfach nicht logisch.
Sie ging jetzt zuversichtlicher weiter, nachdem sie zu dem Schluss gekommen war, dass alles so passierte, wie es beabsichtigt war, und dass ihre Großmutter all das aus einem bestimmten Grund arrangiert hatte. Phryne war, wo sie sein sollte, und sie tat, was sie tun sollte. Sie war zwar nicht vollkommen überzeugt, dass sie nicht in Gefahr schwebte, aber sie glaubte, dass sie besser dran war, als sie zunächst erwartet hatte.
Die Zeit verstrich, und der Tunnel führte sie immer weiter. Auf ihrem Weg kam sie an keiner einzigen Abzweigung vorbei, sondern es ging immer nur vorwärts oder zurück. Sie hatte das Gefühl, dass sie bereits Meilen gelaufen war. Aber wie konnte ein unterirdischer Gang, selbst einer, der so groß war wie dieser, so weit reichen? Und ein Ende des Tunnels war nicht abzusehen. Er sah immer und überall gleich aus, die Wände
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