Die Legende von Shannara 02: Die Herrschaft der Elfen
oder etwas in der Art, und hätte allein aus der Kammer fliehen können. Nur dass man draußen bereits auf mich gewartet hätte.«
»Um Euch zu töten«, beendete der Junge den Satz. »Dann hätten sie einen Vorwand gehabt.«
Oder aber sie wären mir gefolgt, um abzuwarten, ob ich sie zu den Elfensteinen führe. Dann erst hätten sie mich getötet. Diese Möglichkeit hielt sie für weit wahrscheinlicher, sprach es aber nicht aus. Sie sah sich in der Dunkelheit um und erwartete fast, dass jemand aus den Schatten sprang und sich auf sie stürzte. Aber alles war ruhig, und nichts rührte sich.
»Wir können unseren Plan vergessen!«, erklärte Xac Wen. »Wir müssen uns sofort irgendwo verstecken!«
Phryne legte die Hände auf seine Schultern, aber diesmal leicht, nicht in der Absicht, ihn festzuhalten. »Hör mir zu. Das kann ich nicht. Ich muss zum Haus meiner Großmutter gehen. Ich muss es einfach tun. Es gibt dafür Gründe, die ich dir jetzt noch nicht verraten kann. Aber ich muss dorthin. Isoeld weiß nicht, dass ich bereits entkommen bin. Noch nicht. Dieser Wachsoldat schläft vielleicht noch. Du hast die Tür abgeschlossen, also wird er vielleicht nicht einmal merken, dass ich geflüchtet bin, nachdem er wach geworden ist. Jedenfalls nicht sofort.«
Sie machte eine Pause und nahm die Hände von seinen Schultern. »Ich werde zum Haus meiner Großmutter gehen. Aber du musst nicht mitkommen, das weißt du. Du hast bereits genug für mich getan.«
Er sah sie an, als hätte sie den Verstand verloren, und zuckte dann abrupt mit den Schultern. »Hören wir endlich auf, darüber zu reden. Gehen wir einfach.«
Sie erreichten den Wald und gingen über den schmalen Pfad, der zu Mistrals Landhaus führte. Sie schlichen durch die Dunkelheit, weil ihnen jetzt klar war, dass die Gefahr, die sie vorher nur angenommen hatten, tatsächlich existierte und viel größer war als erwartet. Phryne war klar, dass sie den Jungen unbedingt hätte zurückschicken sollen. Bis jetzt brachte ihn nichts mit ihrer Flucht in Verbindung, aber wenn man ihn mit ihr zusammen erwischte, steckte er in ebenso großen Schwierigkeiten wie sie. Ihr war klar, dass er nicht mit ihr gehen wollte, aber sie wusste auch, dass sein Stolz und seine Loyalität den Orullians gegenüber nicht zulassen würden, dass er sie einfach im Stich ließ. Er gehörte nicht zu den Menschen, die ihren Zweifeln und Ängsten so einfach nachgaben; er würde sich ihnen stellen und sie überwinden. Und es war sinnlos, ihm etwas anderes vorzuschlagen.
»Ich wünschte, wir hätten bessere Waffen«, murmelte er. »Ich habe nur ein Messer.«
Und ich habe gar nichts. Aber Waffen würden ihnen im Augenblick wohl auch nur wenig nützen. Wenn das eine Falle war, falls Isoeld im Haus ihrer Großmutter bereits auf sie wartete, dann hätte sie zweifellos genügend Handlanger mitgebracht, um sicherzustellen, dass Phryne sich nicht den Weg freikämpfen konnte. Sie schüttelte sich unwillkürlich, als sie überlegte, wen ihre Stiefmutter bestochen haben mochte, sie umzubringen. Elfen? Etwas oder jemand anderen? Plötzlich hatte sie sehr große Angst.
Aber sie ging trotzdem weiter, darauf bedacht, das Haus ihrer Großmutter endlich zu erreichen. Es dauerte eine Weile, denn es war sehr dunkel im Wald und sie konnte nicht immer hundertprozentig sagen, auf welchem der vielen Pfade, die durch die Wälder führten, sie sich gerade befand. Dann jedoch erreichten sie unvermittelt den Waldrand und traten auf die Lichtung hinaus, auf der das Landhaus ihrer Großmutter stand.
Phryne blieb unmittelbar unterhalb der Bäume stehen. Das Haus war dunkel und still. Die Eingangstür stand offen, die Angeln waren am oberen Ende herausgerissen. Die Fenster waren zerbrochen, und Scherben funkelten im Mondlicht auf den Dielen der Veranda. Das Haus strahlte eine leere, tote Atmosphäre aus, die sie selbst bis zu ihrem Standort spüren konnte.
Sie warf Xac Wen einen kurzen Blick zu, und der Junge zuckte mit den Schultern. Er nahm auch nichts Lebendiges wahr.
»Ich gehe zuerst«, flüsterte sie ihm zu. »Wenn mir etwas passiert, kannst du Hilfe holen.«
Sie glaubte zwar nicht wirklich, dass er Hilfe finden würde, aber wenigstens konnte sie ihn so vor dem beschützen, was als Nächstes passieren mochte. Und dadurch hatte er zumindest eine kleine Chance zur Flucht. Obwohl sie sich keine Illusionen darüber machte, wie klein diese Chance war. Aber es war das Beste, was sie ihm anbieten konnte.
Er nickte
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