Die Legende von Shannara 02: Die Herrschaft der Elfen
dem Blick des alten Mannes gerade eine Sekunde stand, bevor seine Augen zur Seite zuckten. Der Lumpensammler packte so schnell zu, dass er das Wams des anderen Mannes in der Hand hatte, bevor der auch nur reagieren konnte. Dann zog er ihn so dicht zu sich heran, dass er ihm ins Gesicht atmete. Arik Siq machte einen halbherzigen Versuch, sich loszureißen. Doch da packte der Mann mit der anderen Hand seine Schulter, und die Gesichtszüge des Drouj verzerrten sich vor Schmerz, als hätte jemand einen Dolch in seinen Körper gerammt. Stöhnend sank er auf die Knie, wo er zusammengekauert und zitternd hockte, nicht mehr länger groß und bedrohlich, sondern nur noch verängstigt.
»Spiel keine Spielchen mit mir«, zischte der Lumpensammler, der jeglichen Anschein von Zivilisiertheit abgelegt hatte. »Dein Leben gehört mir, und ich kann damit machen, was ich will. Du gibst mir nur wenig Grund, es zu verschonen, wenn du mich anlügst. Wenn du nicht vorhast, mir den schwarzen Stab zu geben, dann wärst du gut beraten, mich diesbezüglich nicht zu belügen. Ich wittere Lügen, Troll. Ich kann sie riechen!«
»Ich habe dir nur … gesagt, was du … hören wolltest!«, keuchte der andere. Dann, in einer Aufwallung von Trotz und Wut, setzte er hinzu: »Warum auch nicht?«
Der Drang, dem Troll das Genick zu brechen, war ungeheuerlich. Aber der Lumpensammler widerstand dem Impuls. »Sieh mich an!«, befahl er und senkte seine Stimme zu einem Flüstern. »Sieh mich genau an!«
Arik Siq gehorchte, und der Lumpensammler ließ ihn genug sehen, dass der Troll vor Entsetzen zitterte, als er ihn erkannte. Er hielt ihn jedoch noch einen Augenblick länger umklammert, ließ ihn seine Stärke fühlen und gab ihm Zeit zu begreifen, wie hilflos er war. Dann erst ließ er den Drouj los und trat zurück.
»Falls du mich noch einmal belügst, werde ich dich töten«, sagte er leise. »Verstanden?«
Der Troll nickte, unfähig zu sprechen.
»Und jetzt sag mir noch einmal, dass du mir den schwarzen Stab bringen wirst.«
»Das werde ich«, versprach der andere heiser. Diesmal erkannte der Lumpensammler an seiner Stimme, dass der Drouj seine Worte ehrlich meinte.
»Beantworte mir Folgendes. Warum hält man dich hier unten gefangen? Warum bringen sie dich nicht einfach um? Dann wäre die ganze Sache doch erledigt.«
Arik Siq schüttelte den Kopf. »Der Junge glaubt, er könnte mich für das Leben des Mädchens eintauschen, das wir gefangen gehalten haben. Oder vielleicht auch gegen das Leben seines Volkes.«
»Ihr habt vor, in dieses Tal einzufallen? Deswegen belagert diese Armee den Pass im Norden? Und du hast für sie einen Weg hinein ausspioniert?«
»Sie haben mich sogar freiwillig in das Tal geführt. Sie sind dumm, belügen sich selbst. Sie haben dieses Tal nicht verdient. Wir werden es ihnen wegnehmen und es zu unserer neuen Heimat machen.«
Der Lumpensammler verzog das Gesicht. Idioten, allesamt. »Aber du kennst jetzt die Lage dieser Pässe? Du weißt, wie du deine Armeen ins Tal führen kannst?«
»Das weiß ich.«
»Dann mach das. Ich habe die Wächter beseitigt und die Tür geöffnet. Wenn wir beide hier fertig sind, kannst du einfach hinausspazieren. Niemand wird dich aufhalten. Verlass das Dorf und geh zurück zu deinem Volk. Erzähl ihnen, was du weißt. Rate deinem Vater, den Aphalionpass anzugreifen, weil dort die meisten von denen warten, die eurer Invasion Widerstand leisten werden. Die Elfen sind die wahre Gefahr. Du jedoch wirst mit einhundert deiner Drouj zur Declan-Schlucht gehen. Geh nicht durch den Pass, sondern warte draußen auf mich. Und versteck dich. Such nach diesem Jungen. Wenn du ihn siehst, nimm den Stab an dich. Mit ihm mach, was dir beliebt. Aber verwahre den Stab und warte darauf, dass ich zu dir komme.«
»Du willst nur den Stab? Nicht mehr? Wenn du deine Meinung änderst und auch das Tal für dich willst, was dann?«
Der Lumpensammler lächelte. »Der Stab genügt.«
»Dieser Stab besitzt Magie?«
»Das tut er, aber nicht die Art von Magie, die irgendeinem von deinem Volk von Nutzen wäre. Sei nicht dumm. Tu das, was du mir versprochen hast. Sobald ich den Stab habe, verschwinde ich von hier und gehe zu anderen Orten.«
Arik Siq nickte, aber der Zweifel in seinem Blick war unübersehbar. Wenn man einen hinterlistigen Verstand besaß, fiel es einem nicht schwer sich vorzustellen, dass die anderen genauso verschlagen waren. Daran konnte der Lumpensammler jedoch nichts ändern. Jetzt nicht.
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