Die Legenden der Albae: Die Vergessenen Schriften (German Edition)
gelangte durch die Strömung hierher. »Nimòras, was hältst du von einer kleinen Fahrt?«
»Wollten wir nicht zum Turm?« Der Krieger hatte zu ihm aufgeschlossen und sah vom Ufer aus zu ihm, sein Blick hatte sich gewandelt und zeigte deutliches Misstrauen.
Carmondai wusste, dass es nicht ihm galt, sondern den sanften Wellen. »Du lerntest niemals das Schwimmen, habe ich recht?«
»Nun, ich vermag, mich über Wasser zu halten, aber … du erwähntest den Strudel, Wortmeister.« Nimòras nickte in Richtung des Kahns und warf die langen, dunklen Haare zurück. »Ist dies eine gute Eingebung, solange wir nicht wissen, wann sich der Strudel zeigt?«
»Nur bis zum Eingang der Bucht«, erwiderte Carmondai mit einem herausfordernden Lächeln. »Damit du dich an das Wanken unter deinen Füßen gewöhnen kannst. Wenn sich dein Magen hier umdreht, gibt es nur einen Zeugen für deine Schmach.« Lachend schwang er sich ins Boot und glich das Kippeln aus. »Unsere schwarzen Augen verraten uns noch gegenüber den Barbaren, Nimòras. Wir haben Zeit. Bitte sichere die Pferde.«
Der jüngere Alb seufzte und stieg aus dem Sattel, tat, wie ihm befohlen, kam durch die hohen Halme und kletterte in den Kahn. »Ich bete zu Inàste, dass ich weder mein Schwimmen unter Beweis stellen noch mein Mittagsmahl den Fischen opfern muss.« Man sah ihm das Unwohlsein deutlich an.
Carmondai nahm die Riemen und ruderte sie aus dem Schilfgürtel heraus, was anfangs ungelenk wirkte. Die Blätter verhakten sich immer wieder in Schlingpflanzen, doch bald hatte er das Boot aufs offene Wasser manövriert. Er verfiel in einen beständigen Takt, und mit jedem Schlag, den er tat, kehrte die Sicherheit zurück.
Rasch nahmen sie Fahrt auf.
Nimòras sah Carmondai an, dass er sich erinnerte. »Wo liegt das Meer, das du befuhrst?«
»Sehr weit südlich vom alten Dsôn, in Ishím Voróo. Ich kann dir nicht mal sagen, wie groß es ist. Wir hatten keine Zeit, es zu erkunden, denn unser Auftrag lautete, die Cûithonen zu vernichten«, erzählte er, während er ruderte. Das Plätschern des Sees, das kaum hörbare Eintauchen der Blätter, der frische Wind erfreuten Herz und Seele des Geschichtenwebers. »Und es waren gewaltige Schiffe, nicht solch eine winzige Nussschale, die uns gerade eben ausreicht. Wir erkauften uns die Dienste frekorischer Söldner, die es gewiss schon lange nicht mehr gibt. Sie setzten uns mit Dreimastern über, die Rümpfe waren achtzig Schritt lang und beinahe zwanzig breit und so geschickt gebaut, dass sie kaum Tiefgang hatten.«
»Tiefgang?«
»Wie tief ein Rumpf unter die Oberfläche reicht. Er bestimmt, wie weit sich ein Segler an Land oder an ein Riff trauen darf«, erklärte Carmondai. Er fragte sich, ob die Angehörigen seines Volkes gute Seefahrer gewesen wären. Die Besten , gab er sich selbst Antwort und legte sich in die Riemen. »Damals mussten die Truppen der Unauslöschlichen weit reisen, um mögliche Feinde des Albaereichs zu vernichten. Die Frekorier waren ungeschlagen auf den Wogen und doch ungefährlich für unser Volk.«
»Also gerade gut genug für uns«, sagte Nimòras mit einem bemühten Lächeln.
»Oh, du hättest dich auf deren Planken wohler gefühlt als in diesem nadeldünnen Gefährt.« Carmondai sah vor seinem geistigen Auge die Schiffe, mit denen sie damals gereist waren. »Das Hauptschiff war mehrstöckig und verfügte über Becken mit Fischen und Getreidesorten, die kaum Platz benötigen, um zu wachsen und hohen Ertrag abwerfen. Hühner sorgten für Eier und Fleisch. Es gab niemals Hunger oder Krankheiten, die aus Mangel entstanden«, erzählte er. »Welch ein Anblick: drei große Masten, dazu zwei kleine auf dem Vordeck. Die einzelnen Segmente des Rumpfs ließen sich abschotten, sodass die Schiffe im Fall einer Beschädigung nicht absoffen. Begleitet wurden wir von vier kleineren Seglern, die uns zusätzlich gegen Angriffe absicherten. Die Mannschaften waren derart eingespielt, dass man sie zu jeder Zeit wecken konnte, und sie sofort wussten, was zu tun war. Sogar im betrunkenen Zustand.« Er lachte. »Nein, niemand legte sich mit einem frekorischen Seetross an, es sei denn, man war verrückt oder verzweifelt. Doch in beiden Fällen fand man den Tod.«
Nimòras lauschte fasziniert und schien seine Übelkeit zu vergessen. »Was machten sie bei einer Flaute? Führten sie Ruder mit? Wie viele bräuchte man, um es von der Stelle zu bewegen?«
Je mehr Carmondai sich an die Überfahrt zu den Cûithonen
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