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Die Legenden der Albae: Die Vergessenen Schriften (German Edition)

Die Legenden der Albae: Die Vergessenen Schriften (German Edition)

Titel: Die Legenden der Albae: Die Vergessenen Schriften (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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so verhielt: Die wenigsten Albae kannten die unglaublichen, schier endlosen Wassermassen eines Meeres oder eines gewaltigen Sees.
    Jedes Kind hatte natürlich den Wassergraben zur Grenzsicherung von Dsôn Faïmon besucht und ihn mit einem Boot befahren, aber das Ufer blieb immer in Sichtweite. Er gehörte zu den wenigen Auserwählten, die wussten, was das Wort Meer bedeutete.
    Kein Vergleich oder Ersatz zu den Weiten der endlosen Wellen. Genau deswegen hatte er sich das Ziel ausgesucht, um sich an alte Zeiten zu erinnern und der Sehnsucht nach Wogen nachzugeben. »Weyurn«, sagte er langsam und ließ den Klang wirken. »Das Land auf dem Meer.«
    Carmondai hatte vernommen, die Bewohner hätten Pfahlbauten errichtet und künstliche Inseln angelegt, die auf dem Wasser trieben. Felder, Dörfer, Städte – beinahe alles, was die Barbaren benötigten, sei auf diese Weise entstanden. Dem Land haftete etwas Märchenhaftes an, weil sich die Städte gelegentlich neue Liegeplätze suchten. Es muss ein grandioser Anblick sein, wenn eine ganze Siedlung durch den Morgennebel zieht und plötzlich mit Türmen und Festungen vor einem aufragt.
    Es war gleichzeitig der beste Schutz vor Scheusalen, den man sich in Zeiten wie diesen wünschen konnte. Das wenige Festland gehörte der Königin, die dort ihre Residenzen und Burgen zur Verteidigung errichten ließ.
    Als er von Weyurn hörte, stand für Carmondai fest: Das musste er mit eigenen Augen sehen, um davon zu berichten, zu schreiben und zu zeichnen. In Dsôn Balsur wurde er gerade nicht benötigt, die Baumeister hatten genug zu tun, bevor er ihnen neue Aufträge erteilen konnte.
    Nimòras war schon längst außer Sicht, als er die nächste Biegung umritt und sich vor ihm der Ausblick auf die scheinbar unendliche Wasserfläche öffnete. Nur sanfte Wellen schwappten auf den flachen Strand und rollten über den Kies; grüne und braune Algen wurden mit hinaufgespült. Links von ihm, ein Stück weiter entfernt, lag ein dichter Schilfgürtel.
    Carmondai schloss die Lider und atmete tief ein. Das Salz fehlt , dachte er, doch ansonsten riecht es nach Frische, nach Leben.
    Das Donnern von galoppierenden Hufen ließ ihn zum See blicken.
    Dort jagte Nimòras ausgelassen auf seinem Schimmel über die kleinen Steine. Spritzer wirbelten hinter dem Pferd auf und wurden weit emporgeschleudert; die Tropfen glitzerten und funkelten in allen Farben. »Das ist unfassbar!«, juchzte er. »Das Meer!«
    Carmondai ritt näher und schaute sich um. Oder zumindest das, was man dafür halten kann, wenn man einen Ozean nicht kennt.
    Sie waren in einer Bucht gelandet, die sich halbkreisförmig über eine Länge von vier Meilen schwang, ehe sie sich bis auf eine Öffnung von etwa hundert Schritten fast komplett schloss. Der natürliche Riegel gegen hohe Wogen machte sie zu einem perfekten Hafen, wären die Städte von Weyurn darauf angewiesen. So lag die Bucht brach – aber nicht alleine aus diesem Grund. Diese Stelle bedeutete Todesgefahr.
    Ganz weit vorne reckte sich ein schmaler, turmgleicher Felsen, in dessen oberen Bereich Öffnungen geschlagen waren, aus dem Gestein. Weyurns Herrscher hatten die Bergnadel aushöhlen lassen und zu einem Leuchtturm gemacht.
    Er gab nicht etwa Orientierung oder einen Anlaufpunkt, sondern er warnte. In unregelmäßigen Abständen, so hatte Carmondai vernommen, entstand im See ein Wirbel, der Schiffe oder die schwimmenden Städte in den Abgrund sog und niemals mehr freigab.
    Das muss ich sehen. Welch Schauspiel das sein wird! Carmondai beobachtete, wie Nimòras sich mehr und mehr von ihm entfernte und den Hengst forderte, als ginge es bei der Hatz um sein Leben. Wenn ihn das schon so erfreut, was tut er, wenn wir auf einem Schiff reisen und umgeben von Wasser sind? Vor Ausgelassenheit über Bord springen? »He, Nimòras! Ich reite die Anhöhe hinauf, um nach dem Turm zu sehen.«
    Der jüngere Alb hob als Antwort den Arm und bremste den Schimmel. »Ich komme gleich«, gab er zurück und wendete.
    In der Zwischenzeit hatte Carmondai die Ausläufer des Schilfs erreicht und entdeckte im Vorbeireiten einen zweieinhalb Schritt langen Kahn, der zwischen den Halmen feststeckte. Die Riemen lagen darin, als wäre es ein Angebot.
    Er hielt an und sprang auf die Steinchen, knackend brachen Muscheln unter seinen Sohlen. Er bahnte sich einen Weg durchs raschelnde Schilf, watete zum schmalen Boot und untersuchte es. Es ist gut erhalten. Vermutlich löste es sich von irgendeinem Steg und

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