Die Legenden der Albae: Die Vergessenen Schriften (German Edition)
Frühwinter
Gàlaidon stahl sich durch die Ruinen, auf denen der Frost seine ersten Spuren hinterlassen hatte. Ein dünner, eisiger Überzug lag auf den Steinplatten, auf den umgestürzten Ecksäulen und den verstreut umherliegenden Dachpfannen.
Der blonde Alb war nackt, einzig sein Antlitz wurde durch eine eng anliegende, schwarze Stoffmaske verborgen. Kein Anwärter auf die Ausbildung zum Assassinen zeigte seine Züge offen. Niemand durfte wissen, wer sich der schwersten und höchsten aller Tötungskünste verschrieb und vielleicht zum gefehmten Zhartài wurde. Auch die Namen waren nicht ihre wahren. Er selbst nannte sich den anderen gegenüber nur Gàdion.
Wo stecken sie? Gàlaidon erklomm eine aufrecht stehende, einsame Säule, seine Fingerspitzen glitten dabei in die schmalen Risse und Löcher und gaben ihm Halt. Als er das obere Ende der Säule erreicht hatte, blieb er flach darauf liegen, um sich seinen Widersachern nicht zu zeigen. Die Kälte des Untergrundes blendete er aus. Ein angehender Meuchler musste jedwede körperliche Qual erdulden, um im entscheidenden Moment zuschlagen zu können.
Virssagòn hatte fünf von ihnen in den Kampf geschickt. Die Ruinen fungierten dabei als Arena, in der die Albae ihre Geschicklichkeit beweisen mussten.
Keine Waffen, keine Ausrüstung, keine Panzerung, nicht einmal Kleidung war ihnen erlaubt. In einem Einsatz gegen Feinde konnte alles geschehen, bis hin zum Verlust sämtlicher Dinge, die man bei sich trug.
Gàlaidon spähte umher und machte Odaikàlor rechts unterhalb von sich aus. Der schwarzhaarige Alb hielt einen beinlangen Stock in der Hand, den er in den Ruinen gefunden hatte, und pirschte vorwärts, geradewegs auf die lauernde Weïdori zu, die zwei Steine in den Fäusten umklammert hielt, um ihren Schlägen mehr Härte zu verleihen.
Das wird ein spannender Zweikampf. Er grinste, gönnte sich aber nicht das Vergnügen, den Verlauf in aller Genauigkeit zu beobachten. Sein Auftrag war es, alle anderen auszuschalten. Also begab er sich in eine bessere Position, um den Sieger der Auseinandersetzung niederzuringen.
Am Rand des großen Platzes erkannte er die ausgestreckten Umrisse von Phainòri, die regungslos neben einer Mauer lag. Sie schien bereits unschädlich gemacht worden zu sein.
Weder vernahm ich einen Schrei noch Kampfgeräusche. Gàlaidon lobte den Gewinner des lautlos vonstattengegangenen Zweikampfs. Er muss sie …
Eine sachte Erschütterung durchlief die Säule, auf der er kauerte, dann sackte sie plötzlich zur Seite und geriet vollends ins Kippen.
Gàlaidon richtete sich notgedrungen auf, hielt das Gleichgewicht, so gut es ging, während die Säule fiel. Sobald sich die Neigung dazu eignete, rannte er los, immer an der Seite entlang nach vorne.
Am anderen Ende erkannte er Daithòras, der zum Wurf ausholte und etwas gegen ihn schleuderte.
Gàlaidon stieß sich vom Stein ab, entging dem Geschoss und dem Aufschlag der Säule, die auf den Boden krachte und in viele Teile zerbarst. Der aufwirbelnde Staub umschloss ihn und bewahrte ihn vor weiteren Attacken des wartenden Gegners.
Die Landung misslang dank des Dunstes, Gàlaidon kam schräg auf und musste sich über die Schulter abrollen, um nicht zu stürzen.
Als er eine weitere Rolle anfügte, um Raum zwischen sich und Daithòras zu bringen, fand er sich vor der verdutzten Weïdori wieder. Der Ausdruck in ihren Augen sagte ihm alles.
Dann eben du. Gàlaidon fegte ihr die Beine unter dem Leib mit einem harten Tritt weg, versetzte der Fallenden im Sturz einen Hieb mit der Faustunterseite gegen das Sonnengeflecht, sodass die Albin die Augen verdrehte, und sandte sie mit einem Treffer der Ferse gegen ihre rechte Wange in die Bewusstlosigkeit. Rasch nahm er ihr die Steine ab. Die kann ich besser gebrauchen.
Da kam Odaikàlor bereits auf ihn zugesprungen, den Stock von rechts nach links führend. Surrend jagte das Holz heran.
Gàlaidon hob den Arm, spannte die Muskeln und ließ sich gegen die Rippen treffen, um den Stock danach blitzschnell unter der Achsel einzuklemmen. Die Schmerzen ignorierte er, das warme Rinnsal an seiner Seite war das Blut aus der Platzwunde.
Odaikàlor ließ den Stock los und setzte zu einem Kniestoß an, aber Gàlaidon warf ihm mit aller Wucht einen Stein gegen die Maske. Ächzend wankte der Alb zurück.
Gàlaidon sprang nach vorne, rammte ihm das angezogene Knie gegen die Brust und schleuderte Odaikàlor zwei Schritte zurück. Er griff im Sprung nach dem Stock, drosch
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