Die Legenden der Albae: Die Vergessenen Schriften (German Edition)
mit der Zunge. »Es ist obendrein noch ein Rätsel.«
»Das nicht besonders schwer zu lösen ist«, meinte Weïdori geringschätzig. »Solange der Zwerg lebt, schlägt sein Herz. Also schaffe eine lebendige Bergmade bis zu Virssagòn und schneide ihm dort das Herz aus dem Leib.«
Phainòri lachte auf. »Oh, ihr Götter! Das ist …«
»Zu einfach?«, fiel Gàlaidon ein. »Tröste dich. Ich kam auch eben erst auf den Gedanken.«
»Cîanai müsste man sein. Dann könnte man einen Zauber weben und das kleine Stück Abschaum an Ort und Stelle zerlegen. Das Herz würde weiterpumpen«, murmelte Phainòri vor sich hin.
Gàlaidon lächelte. Es gefiel der Albin nicht, dass sie sich mit einem Gefangenen belasten musste. Damit hatten Assassinen keine Erfahrungen, denn sie waren ausgebildet worden, um schnell und ungesehen zu töten, nicht um einen Unterirdischen durch halb Tark Draan zu schleifen. Deswegen muss ich schnell sein, solange Virssagòn noch im Gebirge ist. »Solche Macht besitzt keiner unserer Magier. Sie können einzig unsere eigenen Kräfte verstärken.«
»Wer mit den Infamen ist, wird belohnt, heißt es«, mischte sich Weïdori ein. »Die Unauslöschlichen haben den Kult um sie verboten, weil die Götter Albaeblut für ihre Gunst verlangten. Ich hörte von mächtigen Zauberern, die sich zu den Infamen bekannten.«
»Unsinn. Das sind Märchen, die du erzählt bekommen hast.« Phainòri schien nicht gewillt zu sein, dem Gehörten Glauben zu schenken. »Es sind die gleichen Leute, die auch sagen, dass die Akademie damals nicht durch einen Unfall zerstört wurde. Angeblich lässt das Herrscherpaar die Schuldige jagen.«
Gàlaidon dachte unvermittelt an Ahisiá – doch es stellte sich keinerlei Schmerz ein. Einzig ihr Bild zog vor seinem inneren Auge auf, verblasst und wirkungslos und so gut wie jede andere Zeichnung einer Albin. Er fühlte nichts.
»Das weiß ich nicht. Aber ich glaube an die Macht der Infamen, auch wenn es die Unauslöschlichen nicht gerne hören.« Weïdori hatte als Erste den Eingang erreicht. »Hier stinkt es nach Óarco. Die Grünhäute sind hier wohl durch und haben ihr Lager aufgeschlagen.«
»Wo sie sind, werden wir keine Unterirdischen finden«, mutmaßte Phainòri. »Was haltet ihr davon, wenn wir uns zusammentun und drei Zwerge beschaffen, gemeinsam zu Virssagòn reisen und ihm gleichzeitig die Herzen überreichen? Dann müsste er uns alle drei nehmen.«
Weïdori lachte auf. »Du hast Angst, die Probe zu verlieren.« Sie ging los und stellte ihren Rucksack ebenfalls ab. »Darauf lasse ich mich nicht ein.«
»Ich auch nicht.« Gàlaidon ging an ihnen vorbei. »Dennoch wünsche ich euch den Beistand der Unauslöschlichen.«
»Aber nicht den Sieg, wie ich vernehme«, fügte Weïdori amüsiert hinzu. »Dann möge es dir ebenso ergehen.«
»Wir sehen uns bald wieder«, rief ihnen Phainòri nach und blieb zurück.
Tun wir nicht. Und falls doch, werde ich euch töten. Gàlaidon bog nach rechts in einen Seitengang und trabte locker vorwärts.
Gàlaidon verstand nach einem gefühlten halben Teil der Unendlichkeit, dass er weit würde laufen müssen und es einer glücklichen Fügung bedurfte, um einen Unterirdischen zu finden.
An ihren kleinen, hässlichen Leichen kam er gelegentlich vorüber, meistens waren sie gespickt mit Bolzen aus den Armbrüsten der Óarcos und anschließend mitsamt des Kettenhemdes zu Brei zerschlagen.
Die Überlebenden des Angriffs verfügten in den gewundenen Gängen, vertäfelten Tunneln, grob gehauenen Stollen, künstlichen Höhlen und natürlichen Kavernen über unendliche Möglichkeiten, sich vor den Angreifern zu verbergen und zu formieren, um einen Gegenschlag vorzubereiten.
Ich bin in ihrer Heimat. Wie würde ich vorgehen, wenn sie zu uns gekommen wären? Was lockte mich heraus? Er blieb stehen und nahm einen Schluck aus seiner Trinkflasche.
Die Antwort fiel überraschend einfach aus: Ein Unterirdischer in Bedrängnis würde sie gewiss dazu veranlassen, sich zu zeigen und ihm zu Hilfe zu eilen.
Gàlaidon sah sich um. Also müsste ich eine Falle vorbereiten. Aber nicht hier. Ich bin noch zu nahe am Eingang. Hier rechnen sie mit einem Hinterhalt.
Er setzte seinen Weg fort und sammelte von den Toten Kleidung und Rüstungsteile zusammen, um daraus eine Puppe zu bauen, die sein Köder werden sollte. Auch ein Rufhorn steckte er ein. Das war leichter zu transportieren als ein Kadaver, der sicherlich zu stinken begann, wenn er sich länger gedulden
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