Die Legenden der Albae: Die Vergessenen Schriften (German Edition)
Schild zu blocken.
Die Kante blieb stecken wie eine Münze zwischen den geöffneten Schenkeln einer Schere.
Nun ich. Haïmoná vollführte eine rasche Hebelbewegung mit den Speeren, welcher der blonde Alb folgen musste, da der Druck auf seine Gelenke zu groß wurde.
Raikânor neigte sich notgedrungen nach links, öffnete seine Deckung somit weiter als gewollt. Ohne das Nachgeben wären seine Knochen gesprungen und Sehnen zerrissen.
Die Albin hielt die Klammer um den Schild aufrecht und trat dem Gegner vor die Brust, sodass er nach hinten flog und auf den Boden fiel. Doch in der erzwungenen Rückwärtsbewegung langte er an seinen Gürtel und schleuderte etwas.
Geschickt. Haïmoná wich zwei der heranzischenden Wurfsterne mit einer leichten Drehung aus, den dritten fing sie mit dem Speerschaft ab. »Noch schonte ich dich«, raunte sie und sah auf die schimmernden Spitzen, die teilweise im Holz steckten. »Aber nun ist es damit vorbei.«
Sie schwang den Speer mit dem Stern darin gegen Raikânor, der den Hieben zuerst durch Wegrollen entkam und sich dann unter seinen Schild duckte. Als er mit der Kante nach Haïmonás Schienbein stieß, hob sie blitzartig den Fuß und trat von oben auf das Metall, drückte damit den Arm herab und bannte den ungestümen Alb auf den Hofboden. Er bekam die Hand nicht mehr aus der Schlaufe.
Lächelnd legte sie die Speerspitze in den Nacken des vor Wut keuchenden Anwärters. »Ich scheue keinen Gegner, auch wenn ich ihn auf mich zukommen sehe. Im Gegenteil« – sie ritzte seine Haut sachte ein – »es bedeutet eine größere Herausforderung.«
»Eine gelungene Darbietung«, rief Ewìlor von der Galerie hinab. »Lass ihn aufstehen, Haïmoná.«
Sie machte einen Schritt zurück, legte dabei zum Abschied kurz mehr Gewicht auf den Fuß, sodass Raikânors Schultergelenk knirschte.
Der blondgelockte Alb knurrte, sprang in die Höhe und atmete heftig, die kräftigen Brustmuskeln zuckten. Dreck und Schneereste lösten sich von seiner Haut, doch er war schlau genug, nichts zu sagen. Er hatte begriffen, dass es sich um eine Probe handelte, auf die ihn der Benàmoi gestellt hatte.
»Windgeschwister! Damit es alle verstehen: Haïmoná handelte auf meine Order hin«, rief Ewìlor in den sternenförmigen Hof hinab. »Ich wollte sehen, in welcher Verfassung ihr seid. Denn es steht ein Austausch bevor: Ein Paar wird uns verlassen, und ich brauche einen zuverlässigen, ebenbürtigen Ersatz.«
Haïmoná war erleichtert. Er kann Gedanken lesen. Das bringt uns die Ruhe, die wir brauchen.
Ewìlor zeigte auf Yágôras und Raikânor. »Ihr beide werdet die Auserwählten sein. Ich sehe in euch die Besten auf diesem Hof. Ob ihr die Besten bei den Goldstählernen sein werdet, könnt ihr schon bald beweisen.«
Die Anwärter pochten gegen die Schilde, um ihren Beifall zu bekunden.
Die beiden Auserwählten verneigten sich vor dem Benàmoi. Raikânor sah danach zu Haïmoná. »Damit behältst du dein Leben«, flüsterte er zwinkernd. »Ich dachte wirklich, dein Verstand sei gegangen.«
Sie reichte ihm den Speerschaft mit dem Wurfstern darin. »Als Andenken an den Moment der Unendlichkeit, an dem ihr aufgenommen wurdet, und an deine Niederlage gegen mich.«
Er nahm das Geschenk grinsend entgegen. »Das habe ich wohl verdient.«
Ewìlor richtete die Augen auf Haïmoná. »Mein Dank geht an dich, Ntîstai. Du hast geholfen, meine Entscheidung zu treffen. Damit ist deine Aufgabe erfüllt. Du wirst morgen die Garnison der Goldstählernen verlassen.«
»Ich reise wohin , Benàmoi?«
»Nach Osten, zum Wassergraben und der dortigen Inselfestung Acht-Fünf. Du wirst die neue Befehlshaberin. Das ist eine ehrenvolle Aufgabe.«
Es war Brauch, dass Ausgeschiedene einen hohen Posten bei der Grenzsicherung erhielten, das wusste Haïmoná. Aber … ich? »Benàmoi, das begreife ich nicht.« Ihre Stimme hallte von den Mauern wieder, und sie kam ihr viel zu hoch vor. Lag gar ein Zittern darin? »Ich dachte, Inóro und Gàthoras würden ersetzt?«
Nun zeigte sich Verwunderung auf der Miene des Befehlshabers. »Das wurden sie bereits. Deine einstige Gefährtin Caiphôra bat um deine Entlassung aus unseren Reihen. Ich nahm an, sie hätte dich darüber in Kenntnis gesetzt.«
Haïmoná fühlte sich plötzlich schwach, die Beine zitterten. So unauffällig wie möglich nutzte sie den verbliebenen Speer in ihrer Hand als Stütze. Sie liebt mich nicht mehr? Ihr Götter, sie hat mich dazu noch einfach gegen eine andere
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