Die Legenden der Albae: Die Vergessenen Schriften (German Edition)
sich mehr und mehr: Je näher es kam, desto mehr glich es dem Plätschern und Rauschen eines Flusses.
Das Echo rollte ankündigend heran, steigerte sich, bis Haïmoná begriff: Das sind Stimmen. Die Stimmen eines Heeres, das genau auf uns zueilt.
Geschätzte vierzig Schritte vor ihnen erschienen die ersten Gestalten im Hohlweg, die sich rennend auf die Albin zubewegten. Sie trugen verschlissene Mäntel gegen die Kälte, und über ihnen erhob sich Dampf, ausgelöst durch die Wärme ihrer überhitzten Körper.
Haïmoná sah die verschiedensten Bestien heranstürmen, Óarcos, Gnome und Fflecx, sich gegenseitig anschiebend und drängelnd, als wollte jeder von ihnen zuerst über eine Ziellinie laufen. Flüche und Rufe wurden ausgestoßen. Mittendrin hasteten verkommene Barbaren, denen die Scheusale kein Haar krümmten; nicht einer der Heranstürmenden hielt eine Waffe in den Händen, obwohl die meisten Dolche, Schwerter und Keulen an Gürteln und in Halterungen mit sich führten.
Weniger als zehn Schritte trennten die Albin von der stürmenden Horde.
Haïmonás Augenbrauen zogen sich zusammen, sie blieb ruhig und beobachtete. Was ist das für ein merkwürdiger Wettlauf?
Da erschien eine geschlossene Sänfte, die über dem Meer aus Köpfen zu schweben schien und rasch näher gespült wurde; zahllose Hände trugen sie.
Obwohl der Strom aus Bestien und Barbaren durcheinander und konfus anmutete, blieb die Sänfte ruhig, als wäre sie auf weichen Dämpfern gelagert. Sie war aus dunkelbraunem Holz gefertigt und mit klarem Lack überzogen. Weiße Runen und Symbole prangten darauf, peinlich genau angebracht und einer peniblen Anordnung folgend. Die großen Fenster waren mit gelochten Läden verschlossen, dunkelgrüne Vorhänge schwangen vor und zurück.
Der Nachtmahr zog den Kopf zurück und tänzelte auf der Stelle, wieherte aufgebracht und warnend.
Haïmoná hatte alle Mühe, ihn vor dem Ausbrechen zu bewahren. Für einen Rückzug war es zu spät. Die Geschwindigkeit, mit der sich die Horde fortbewegte, lag weit über dem normalen Tempo eines rennenden Óarcos.
Dann waren sie heran und umschlossen den Rappen von allen Seiten wie strömende Fluten, sie schoben und rieben an seinen Flanken vorbei, ohne anzuhalten oder sich von den auskeilenden Hufen und schnappenden Zähnen in Sicherheit zu bringen.
Was bei den Infamen …? Haïmoná verfolgte fasziniert aus dem Sattel herab, wie die Gebissenen trotz ihrer schweren Verletzungen weiterhetzten und die Gestürzten von den Nachfolgenden niedergetrampelt wurden, als wären sie lästiger Dreck. Für die Masse bedeuteten Nachtmahr und Albin ein einfaches Hindernis, aber keine Gegner.
Was ist mit euch? Sogar als Haïmoná ihren Speer schwang und mehrere Scheusale sowie einen Barbaren ohne Gegenwehr abschlachtete, änderte sich das Verhalten nicht. Sie wurde einfach ignoriert.
Die Sänfte kam näher und näher, gleich einem Floß, das auf einem Fluss dahinjagte.
Haïmoná hielt den Nachtmahr mit dem Schenkeldruck genau in der dahineilenden Menge, damit der Hengst nicht zusammen mit ihr umgeworfen wurde. Wer wird sich von diesem Abschaum tragen lassen? Und wie gelingt es ihm, die Horde zu …
Unvermittelt blieb das Gesindel stehen, als wäre eine Glocke geschlagen worden, die sie zum Anhalten zwang.
Letztes leises Fußscharen erklang, ein Rascheln hier, ein Straucheln dort, schließlich stand die stumme Menge erstarrt, Schulter an Schulter. Der Pfad war auf seiner gesamten Länge angefüllt mit ihnen, sie bewegten nicht einmal die Köpfe, sondern blickten stur geradeaus.
Der Nachtmahr wieherte und schnappte um sich, bevor Haïmoná eingreifen konnte.
Der Schädel eines Barbaren wurde von den kräftigen Kiefern geknackt, die spitzen Zähne zerfetzten den dicken Hals eines Óarcos, und bevor noch ein Fflecx durch eine dritte Attacke sterben konnte, versetzte die Albin dem Rappen einen maßregelnden Tritt in die weiche Seite. Aufbegehrend röhrte er auf, doch stellte er seine Angriffe ein, während ihm das Blut der Getöteten aus dem Maul rann; die lange Zunge leckte die vermengten Lebenssäfte auf.
»Wer auch immer darin ist, zeige sich!« Haïmoná hielt den rotfeuchten Wurfspeer wieder gesenkt. Sie glaubte schon lange nicht mehr, dass sie es mit dem Dämon zu tun hatte.
Jetzt ruckten die Köpfe der Horde herum, Stoff raschelte, Leder knarrte, Metallringe rieben aneinander, und das Echo kroch hohl die Wände hinauf.
Die Augen der Bestien und Barbaren richteten sich
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