Die Legenden der Albae: Die Vergessenen Schriften (German Edition)
Proviant in die Satteltaschen packen und stieg auf. »Seid immer wachsam, wie ich es euch beibrachte, achtet auf die kleinste Kleinigkeit«, schärfte sie ihnen ein. »In etwa zehn Momenten der Unendlichkeit werde ich zurück sein.«
Sie ließ den Nachtmahr antraben und galoppierte über die Brückenbohlen, bevor der Rappe mit einem Satz die blitzumspielten Hufe auf Ishím Voróo setzte und über das gerodete Gelände jagte.
Die Albin machte sich klein und erlaubte dem Hengst, so schnell zu rennen, wie er wollte. Sie musste nach Norden, in dieses Gebiet, in dem der Dämon hauste.
Der Gedanke, dass ihre einstige Gefährtin verschüttet, aber lebendig auf ihre Hilfe wartete, überwog jede mögliche Gefahr, die auf sie wartete. Was war schon ein Dämon!?
Der Wind spielte mit ihren langen, schwarzen Haaren, die kalte Luft schmerzte auf dem Antlitz, sodass sie den Schal richtete und nur noch die Augen frei ließ.
Der Nachtmahr schnaubte und galoppierte dahin, sie spürte die Bewegungen der kräftigen Muskeln unter sich. Gefrorene Dreckbrocken flogen empor, loser Schnee spritzte auf.
Niemals werde ich Fhòrinaî verzeihen, dass sie Caiphôra alleine zurückließ. Das wird sie zu spüren bekommen, sobald ich mit Caiphôra zurückkehre. Haïmoná lächelte, trotz allem. Nun verstehe ich, Samusin: Ich sollte leben, um sie zu retten. Nichts wird mich davon abhalten, kein Wesen, das sich Tion oder Elria oder ein Infamer ausdenken kann!
Haïmoná machte sich keine Gedanken über die Strafen, die ihre Handlung nach sich ziehen würde. Ein Benàmoi, der seine Inselfestung verließ, um auf eigene Faust nach Ishím Voróo zu reiten – das hatte es in der Geschichte des Albaereichs ihres Wissens nach noch nie gegeben.
Sollten die Unauslöschlichen beschließen, mich deswegen nach Phondrasôn zu verbannen, nehme ich die Strafe auf mich, denn ich weiß, dass es richtig war, was ich tat .
Haïmoná und der Nachtmahr jagten dahin, immer nach Norden.
Solange ich Caiphôra lebend wiedersehen darf, nehme ich alles auf mich. Alles.
Ishím Voróo (Jenseitiges Land), nördlich des Albaereichs Dsôn Faïmon, 4370. Teil der Unendlichkeit (5189. Sonnenzyklus), Winter
Haïmoná lenkte den Nachtmahr behutsam in den mittleren der insgesamt sieben geschlängelten Pfade, die sich leicht abschüssig in die Schluchten und Tunnel senkten. Drei von ihnen waren zugeschüttet und somit unbenutzbar.
Samusin, du wirst mich lenken. Haïmoná glaubte, einen leichten Luftzug zu spüren, der aus dem Westen kam und sie in eben jenen Hohlweg führte. Der Wind des Krieges, der den Geruch von Eisen und Erde mit sich trug, war mit ihr. Sie dachte an die seltenen Momente, wenn der Gott seine Größe zeigte und man flirrende Goldplättchen und funkelnde Glassplitter darin sah.
Der Rappe setzte einen Huf vor den anderen, das Klappern schwang als Echo zwischen den Wänden hin und her.
Haïmoná störte es nicht, dass der Dämon sie kommen hörte. Sollte die Bestie wahrlich eine derartige Kreatur sein, besäße sie ohnehin die Fähigkeit, die Albin aufzuspüren. Lieber saß sie beim Aufeinandertreffen auf dem Rücken eines Nachtmahrs und konnte ihn zu ihrem eigenen Vorteil einsetzen: zur Ablenkung, zur Flucht, wofür auch immer.
Ihr fielen die zahlreichen Steinsplitter auf, die den Boden übersäten. Das Erscheinen des Dämons ging wohl mit Erschütterungen einher.
Sie richtete den Blick auf die rissigen Wände und bemerkte die dunklen Spuren, die sich in gezackten Linien über das Gestein zogen. Das wird die Magie gewesen sein, von der Ewìlor im Brief sprach.
Haïmoná und der Nachtmahr bewegten sich tiefer in das Gewirr hinein und folgten trotz der zahlreichen Kreuzungen und Abzweigungen dem Westwind, dem die Albin vorbehaltlos vertraute.
Plötzlich schnaubte der Hengst und blieb wie angewurzelt stehen.
Seine Muskeln spannten sich, er zog die Lippen zurück und entblößte die messerscharfen Reißzähne, ohne einen Laut von sich zu geben.
Was kommt auf uns zu? Haïmoná zog einen ihrer Wurfspeere aus dem Köcher und hielt ihn am ausgestreckten Arm nach unten; die andere Hand gab die Zügel frei und legte sich an den Griff des Schwerts.
Der Nachtmahr klappte die Ohren zurück, ein dunkles, leises Schnauben entwich den Nüstern. Die roten Augen glommen in der Dunkelheit der Schlucht, er streckte den Hals lang und witterte.
Das Geräusch, das an Haïmonás Ohren drang, klang zunächst wie ein weit entfernter, säuselnder Wind, doch es veränderte
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