Die Legenden der Albae: Die Vergessenen Schriften (German Edition)
Freund mit allem zu rechnen.
Und doch würde er ihm sein Leben jederzeit anvertrauen.
Caphalor hob die Karte an, damit der Feuerschein von der Gegenseite darauf fiel und vielleicht Verborgenes zutage förderte.
Doch sie sah noch immer aus wie ein sehr schlampig behandeltes Stück Pergament, dem man ansah, dass es schon viele Besitzer gehabt hatte.
Er konnte es drehen, wie er wollte: Es blieb ein kaum wahrnehmbarer Strich in dem zerschlissenen Material, den Sinthoras als Pfad und Weg deutete, sowie ein Fleck als Ziel ihres Ausfluges im Namen der Unauslöschlichen an einen sehr, sehr unwirtlichen Ort im Grauen Gebirge.
Wieso sollten dort Elben leben? Caphalor verzog den Mund, das Missfallen ließ sich nicht verbergen. Nichts gedeiht in dieser Höhe, es sei denn, sie vermögen es, Schnee und Eis zu Essbarem zu verwandeln.
In ihm wuchsen die Zweifel, dass sie die Siedlung der Todfeinde tatsächlich erreichen konnten.
Wenn der nahende Winter hier tobt, was tut er erst weiter oben in den Bergen? Er warf seinem schlafenden Freund einen anklagenden Blick zu. Ich wette, du hast dem Herrscherpaar diesen Einfall erst in den Kopf gesetzt. Sie halten es für ebenso abstrus wie ich, weswegen sie nur uns und kein Heer entsandten.
Seine Müdigkeit steigerte sich.
Caphalor legte eine Hand an den Dolchgriff, bevor er sich mit dem Rücken gegen einen Stützbalken lehnte und die Lider schloss. Mit etwas Beistand, Samusin, kann ich Sinthoras davon abbringen. Ich wäre lieber bei meinen Leuten.
So sehr er es versuchte: Der Gedanke an den Späher der Botoiker ließ ihn nicht los, obwohl die Unauslöschlichen nichts darauf gaben und Sinthoras nur mit den Schultern gezuckt hatte.
Beide Verhaltensweisen empfand Caphalor nicht als weise.
Wenn der Schlaf dem Gefühl wich, dass etwas nicht stimmte, hinterfragte Caphalor sein Erwachen nicht.
Regungslos verharrte er am Pfeiler, schaute durch einen dünnen Spalt zwischen den Lidern und suchte zu ergründen, was ihn aus dem Schlummer geholt hatte.
Zwar gab es in dem schwach von den Flämmchen beleuchteten Zimmer nichts zu sehen, doch er vernahm leise Kinderstimmen, die tuschelten.
Die einfache Sprache der Barbaren verstand er mittlerweile gut. Wenn er deren gedämpfte Unterredung richtig deutete, ging es darum, ob sich eines der Blagen durch den Sturm zum Abort kämpfen sollte oder ob es durchhielt, bis der Wind nachließ.
Lautlos erhob er sich und schlich sich zur Treppe, zog den Dolch und lauerte, dass der Fellvorhang aufgezogen wurde. Sollte dies geschehen, würde es doch zum Blutvergießen kommen. Ich wünsche dir eine Blase, die groß genug ist. Zu deinem eigenen Wohl, kleiner Barbar.
Das Flüstern endete.
Dann rutschte ein leichter Körper über die Dielen, Staub rieselte durch die Spalten der Bohlen. Kleine Finger streckten sich durch den Spalt im Vorhang.
Caphalor hob den Dolch und machte sich bereit.
Eine laute Böe pfiff um das Haus, das Gebälk knirschte leidend. Schnee und Eiskristalle jagten gegen die Läden und waren fast so laut wie das knackende Feuer.
»Hörst du, wie es stürmt und heult? Bleib drin«, hörte Caphalor ein Mädchen sagen. »Du wirst draußen erfrieren.«
»Aber ich …«
Der schwarzhaarige Alb spannte die Armmuskeln. Überleg es dir.
»Es wird bald hell, und dann legt sich der Sturm«, beruhigte das Mädchen. »Du hättest nicht so viel trinken sollen.«
Die Finger ließen die weiche Kante des Vorhangs los und wurden wieder zögerlich zurückgezogen; das Scharren zeigte Caphalor, wo sich der Spross niederließ. Es wäre ein Leichtes, mit der Klinge durch den Spalt zu stoßen und den Barbarenknaben zu töten. »Lange halte ich es dennoch nicht mehr aus.«
Eine Decke raschelte, dann wurde es wieder still in der Hütte.
Du schuldest deiner Schwester dein Leben. Erst nach einer Weile zog sich Caphalor zurück und verstaute den Dolch. Da es bald hell wird, sollten wir verschwinden.
Behutsam weckte er Sinthoras und deutete an, dass sie sich für den Aufbruch bereit machen sollten.
Nachdem der blonde Alb seine Nachricht neben die Toten und von außen mit einem Stück Kohle gegen die Tür geschrieben hatte, um auf den Mord der Brut an ihren Eltern aufmerksam zu machen, verließen sie das Dorf, dessen Namen sie nicht erfahren hatten.
Der Wind ebbte ab, sobald sie die letzte Steinhütte passiert hatten, als wollte die Witterung ihnen zeigen, dass die Vorzeichen für die Wanderung besser standen als am Tag zuvor.
Sinthoras schritt voran und
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