Die Legenden der Albae: Die Vergessenen Schriften (German Edition)
Was wollen sie? Verhandeln? Sie als Druckmittel einsetzen? Oder einfach genüsslich foltern?
Horgàta sah Augen hinter den Visieren funkeln. Gnade gab es nicht, doch das hätte sie weder erwartet noch hingenommen. Eher starb sie.
Es war still um sie herum; mal scharrte ein Pferd ungeduldig oder schnaubte, doch keiner ihrer Feindinnen sprach zu ihr.
Dann bewegte sich ein Reiter gelassen auf sie zu, wie sie am gemächlichen Stampfen der Hufe vernahm, und hielt erst an, als er sich in Horgàtas Sichtfeld geschoben hatte.
Es war ein Elb, das sah sie an der Statur sowie der Form der Rüstung: Vor ihr erschien Narósil, um seinen Sieg über sie auszukosten.
Eine Faust stützte er in die Seite, am gleichen Arm war der Schild befestigt. Die Lanze hielt er aufgereckt gleich einem Herrschaftsinsignium, sein weiß-goldener Wimpel an der Spitze flatterte im eisigen Abendwind. Eindringlich begutachtete er sie, musterte sie von Kopf bis Fuß.
Etwas in seinen Augen verwirrte Horgàta. Wieso entdeckte sie keine vollkommene Abscheu darin? Stattdessen lag darin … schlecht verborgenes Begehren?
Das überraschte selbst sie.
Bedeutete es für ihn die allerhöchste Erniedrigung einer Albin, wenn er sie nahm, bevor er sie abschlachtete? Das passte zu den Elben.
»Du verstehst meine Sprache«, sagte Narósil hochmütig und schob das Visier in die Höhe, um ihr sein Antlitz zu weisen. »Ich weiß es.«
»Was sollte ich mit dir zu besprechen haben?«, schleuderte sie ihm entgegen und fühlte, dass der Druck der Speerspitze an ihrer Seite zunahm; das beanspruchte Tionium gab ein hässliches kratzend- metallisches Geräusch von sich.
»Ich möchte viel von dir erfahren«, erwiderte er. »Wie viele Schwarzaugen du noch führst, wo ich sie finde«, zählte er hart auf. »Und danach reicht es mir aus, wenn ich dich zum letzten Mal schreien höre.«
»Darauf wirst du lange warten!«, spie sie ihm entgegen. Sie zog ihre angeborenen Kräfte zusammen und fokussierte sie, um größte Angst gegen ihn und die Elbinnen sowie ihre Pferde um sie herum zu wirken. Es könnte ihr den entscheidenden Vorteil bringen, den sie benötigte, um sich von den Speeren zu befreien – oder ihren Tod bedeuten. Noch wartete sie ab.
»Das denke ich nicht. Ihr mögt von Natur aus grausam sein und euch daran ergötzen, doch wir nutzen dieses Mittel, um unsere Feinde zum Sprechen zu bringen«, hielt er dagegen und ließ sein Reittier mit sanftem Schenkeldruck nach vorne gehen. »Glaub mir: Wir bringen dich zum Sprechen.«
Ein beschlagener Huf stellte sich auf Horgàtas Bauch, der Vorderlauf wurde jedoch noch nicht voll belastet.
Die Albin spürte, wie sich feine Nägel durch das Leder drückten. Die Dornen an den Eisen gaben den Tieren besseren Halt auf rutschigem Untergrund – oder bohrten sich krallengleich in Körper. » Damit willst du mich zum Schreien bringen?«, höhnte sie und zog die Kraft aus allen Ecken ihres Körpers zusammen.
Derweil war es dunkler geworden, und an dem Ziehen in den Augen spürte sie, dass das Schwarz gewichen war. Nun gab es keine äußerlichen Unterschiede mehr zwischen Albae und Elben. Das Taggestirn hatte seine entlarvende Macht verloren.
»Es ist ein Vorgeschmack.« Narósil schnalzte mit der Zunge und beugte sich im Sattel leicht nach vorne.
Sein Schimmel verstärkte den Druck.
Die eigene Rüstung senkte sich tiefer und tiefer auf Horgàta, der Brustkorb und die Rippen knirschten. Sie bekam kaum mehr Luft; dazu durchdrangen die Spitzen das Leder und stachen durch das Untergewand in ihre Haut.
Der Albin gelang es nicht zu sprechen. Ihre Sinne schwanden von Herzschlag zu Herzschlag, sogar die Schmerzen in Hand und Schulter vergingen in dem schwarzen Nebel, der vor ihren Augen aufzog. Die mühsam zusammengezogene Energie, um Angst zu den Elben zu tragen, verflüssigte sich und glitt ihr davon.
Narósil lachte kalt. Horgàta fand es nicht einmal im Ansatz furchteinflößend, sondern gespielt und lästig. »Schon ist dein Hochmut niedergedrückt?« Er schnalzte erneut mit der Zunge, und der Schimmel hob den Huf.
Aufstöhnend sog Horgàta die Luft ein, der Nebel wich und machte der sternenklaren Nacht Platz. Sie betrachtete das Funkeln über ihr, sah den Mond, der sie mit seinem herrlichen Licht übergoss. Tiefe Ruhe überkam sie im Angesicht der Endlichkeit. »Ihr werdet niemals mehr nach Tark Draan zurückkehren«, versprach sie heiser. »Euer Tod erwartet euch hier. Eure Körper werden verbrannt, den Tieren zum Fraß
Weitere Kostenlose Bücher