Die Legenden der Albae: Die Vergessenen Schriften (German Edition)
spielte und spielte, hatte den Geschmack des feuchten Knochens an den Lippen und den Geruch in der Nase. Erst als sie ein ankündigendes Knistern und Splittern vom Boden her vernahm und die Schläge endeten, stand sie auf und verstaute die Flöte.
Behutsam senkte sich die Tanne nach vorne, in Richtung der Ebene. Die Elben wollten sichergehen, dass es kein schützendes Unterholz gab, in dem sich die Albin vor den geschliffenen Lanzen verbarg.
Die Abwärtsbewegung beschleunigte sich.
Horgàta verlagerte ihren Stand, passte ihre Haltung dem Winkel des Falls an, bis sie beinahe waagerecht auf dem Stamm balancierte und kurz vor dem Aufschlag auf den Boden in die Höhe sprang.
Die Landung misslang ihr gründlich. Sie schlug neben dem Baum im Astwirrwarr auf, dabei bohrte sich ein abgebrochenes Stück durch Rüstung und Unterarm.
Die Albin biss die Zähne so fest zusammen, dass sie knirschten. Was den gegnerischen Geschossen nicht gelungen war, schaffte die einfache Tanne: Sie war verletzt worden.
Zum Ausgleich für die Wunden verbarg das Nadelgrün Horgàta vor dem Hass der Elben.
Hufschlag näherte sich, der Baum wurde umstellt, dann erklang wieder das Hacken. Die Feinde befreiten den Stamm von den Ästen, von unten nach oben, als würden sie es genießen, Horgàta mehr und mehr in die Enge zu treiben.
Sie lugte behutsam zwischen den Zweigen hindurch und sah keinen halben Schritt vor sich eine Lanzenspitze. Sie schätzte die Zahl der Gegner in ihrer unmittelbaren Umgebung auf zehn; die Schützinnen sah sie nicht, doch sicher waren sie ihr nahe und hielten sich bereit.
Also musste Horgàta das Kunststück gelingen, bei ihrem Ausfall stets ein Hindernis zwischen sich und den Pfeilen zu haben. Die schwer gepanzerten Reiterinnen machten ihr kein Sorgen, solange sie auf der Stelle standen und die Spieße hielten – denn dadurch hatten sie keine Hand für eine andere Waffe im Nahkampf frei.
Horgàta wollte nicht länger warten, ihre Lage verbesserte sich allenfalls durch eigenes Zutun.
Leise zog sie die Kurzschwerter, stürmte aus ihrem Sichtschutz und befand sich augenblicklich zwischen zwei verdutzten Elbinnen, denen sie die Klingenspitzen von unten durch die schmale Panzerungslücke auf Gürtelhöhe in die Unterleibe trieb. Die warnenden Rufe kamen zu spät.
Während die Reiterinnen schreiend aus den Sätteln stürzten, huschte Horgàta unter einem Pferdeleib hindurch, sprang an der nächsten Elbin hinauf und stach ihr ins Visier.
Aufkreischend kippte die Gegnerin nach hinten und blieb mit ausgestreckten Armen auf dem Tier liegen, Lanze und Schild polterten auf den gefrorenen Boden.
Die Albin befand sich da bereits im Flug, sprang gegen die vierte Feindin und riss sie nieder, schnitt ihr dabei unter der Achsel entlang und durchtrennte die Schlagader. Der rote Lebenssaft sprühte aus dem tiefen Schnitt, die Elbin versuchte vergebens, die Blutung zu unterbinden.
Samusin, ich danke dir! Als Horgàta sich gegen die fünfte Elbin wandte, traf sie eine Schildkante gegen die Brust und schleuderte sie rücklings in den aufgewühlten Schnee. Geistesgegenwärtig rollte sie sich zur Seite, die Hufe verfehlten sie, die Lanzenspitze ebenso. Die Elbinnen hatten sich von ihrer Überrumplung befreit und sich auf die Attacken eingestellt.
Doch Horgàta war noch lange nicht am Ende.
Wuchtig schleuderte sie eines ihrer Kurzschwerter gegen eine weiter entfernt stehende Gegnerin, die mit einem Wurf nicht gerechnet hatte, und sandte sie sterbend auf den Boden; das zweite Schwert fand ebenso ein Ziel.
»Ihr bekommt mich nicht!« Die Albin bückte sich und hob eine verlorene Lanze auf, um sie einer Elbin beidhändig durch das Brustbein zu rammen. Aber der verletzte Arm wurde mit einem Mal kraftlos, die Finger öffneten sich ohne ihr Zutun.
Ein Pfeil schwirrte heran und durchstieß ihre gehärtete Lederrüstung an der Schulter.
Horgàta schrie dumpf auf vor Schmerz und langte nach ihrem Dolch, da traf sie eine Lanze gegen die Seite.
Nur dem widerstandsfähigen Tionium verdankte sie, den Angriff zu überleben. Dennoch ging sie zu Boden und wurde von dem langen Schaft unbarmherzig ins glitzernde Weiß gepresst. Ein Blinzeln danach richtete sich eine weitere Klinge auf ihren Hals, eine dritte zielte auf ihren Kopf.
Horgàta verstand, dass es vorerst keine Möglichkeit gab, der Bedrohung zu entkommen. Sie verhielt sich still, legte die Hand dennoch um den Dolchgriff.
Hätten die Elben sie umbringen wollen, wäre sie bereits tot.
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