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Die Legenden der Albae: Die Vergessenen Schriften (German Edition)

Die Legenden der Albae: Die Vergessenen Schriften (German Edition)

Titel: Die Legenden der Albae: Die Vergessenen Schriften (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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unerfahrener Anführer sein, dass er es immer noch zuließ.
    Ihr Nachtmahr nährte sich ungeduldig, versenkte auf ihren Wink hin die Reißzähne in dem warmen Hals des Schimmels und riss das Fleisch auf. Gierig soff er das Blut, zerrte Brocken heraus und verschlang sie; die zähe Haut mit dem weißen Fell dehnte sich, bevor sie riss. Die roten Augen des Nachtmahrs blieben dennoch verlangend auf die tote Elbin gerichtet.
    »Gleich, mein Starker.« Horgàta steckte ein Kurzschwert weg, rammte das andere in den Schnee und schälte die Elbin zügig aus der Panzerung samt Unterkleidern, um ihren bloßen Leib betrachten zu können. Sie begab sich auf die Suche nach dem perfektesten Körperteil.
    In diesem Fall entschied sich die Albin für den rechten Oberschenkelknochen. Sie beabsichtigte, ein Knochenbäumchen anzufertigen, und das entnommene Gebein sollte für den Anfang als gerade gewachsenes Stämmchen dienen.
    Mit sicheren Schlägen und Schnitten der halblangen Klinge ging Horgàta ans Werk, befreite den Knochen aus der Leiche und rieb das daran haftende Blut im lockeren Schnee ab, bis er ganz weiß war und glänzte.
    »Nun friss«, murmelte sie abwesend und hatte nur Augen für ihre Ausbeute. Wunderschön .
    Ihr Nachtmahr schlug unverzüglich die Kiefer in die Elbin, riss und rüttelte wolfsgleich an ihr, um sich zu sättigen. Er zerrte den Kadaver durch das Weiß, der Lebenssaft verteilte sich und spritzte. Nach kurzer Zeit gab es nichts Intaktes mehr an der Leiche.
    Das leise Geräusch wie von einer hart angerissenen Saite drang an Horgàtas Ohr, und sie zog den Kopf nach hinten – der Pfeil sirrte an ihr vorbei, kappte eine weißblonde Strähne und bohrte sich in den Baum. Die zurückschnellende Sehne hatte den hinterhältigen Schützen verraten.
    Die Albin warf sich hinter den Stamm und sah sich um. »Oltai, gib Acht«, warnte sie.
    Der Nachtmahr riss den breiten Kopf in die Höhe, die Nüstern blähten sich, während das Blut der besiegten Gegnerin von den Lippen troff. Gerade als die glutglimmenden Augen die Angreifer ausgemacht hatten, fuhren zwei lange Geschosse in den Hals und durch den Schädel.
    Der Hengst taumelte, wieherte kehlig und brach zuckend zusammen, die Hufe blitzten schwach.
    Horgàta verfluchte die Ablenkung durch das Elbenbein. Das Stampfen von Hufen sagte ihr, dass es mehr als zwei Gegner waren, denen sie sich gegenübersah.
    Ihr Blick wanderte zum zerstückelten, blutigen Leichnam. Eine Falle? Hatte die Elbin sich geopfert?
    Raschelnd fiel Schnee von Ästen und Zweigen, lautes Schnauben erklang und verband sich mit dem Klappern der Rüstungen und dem Klirren von Ledergeschirr.
    Horgàta wagte einen spähenden Blick um ihre Abschirmung.
    Etwa vierzig Schritte von ihr entfernt nahmen zwanzig Reiterinnen Aufstellung, die Lanzen in die Höhe gereckt, gesichert durch fünf Bogenschützinnen. In Schritt rückten sie vor, eine nach der anderen senkte die Spitze stoßbereit und den Schild zur Abwehr am anderen Arm.
    Horgàta würde dem Klingenwald nicht so leicht entgehen und durchschaute, dass sie nach vorne getrieben werden sollte. Vermutlich lauerte auf der anderen Seite des Waldes eine zweite Abteilung.
    Schlagartig wurde sie gewahr, dass Narósil ihre Taktik des Absonderns gegen sie selbst anwandte. Die Elben hatten es von Anfang an auf mich abgesehen! Nur auf mich . Und es war ihnen gelungen, sie von ihren Leuten zu trennen – mit Hinterlist und Schläue. Dem Lockmittel Kunst entkam kaum eine Albin oder ein Alb.
    Grimmig sah sie zum verendeten Nachtmahr und schob das Elbenbein unter den Gürtel. So leicht war sie nicht zu fassen.
    Horgàta schob das zweite Schwert in die Rückenhalterung, schwang sich am Stamm in die Höhe – immer darauf achtend, dass sie den Schützinnen kein Ziel bot; ihr schwarzer Mantelsaum und ihre hellen Haarzöpfe schwangen hin und her, während sie an Höhe gewann.
    Es wurde dennoch auf sie geschossen. Die Pfeilspitzen verfehlten die Finger knapp, mit denen sie um die Rinde griff. Eine Schneide ritzte sie, sie fluchte laut. Bei einem richtigen Treffer würde ein Glied abgetrennt werden.
    Als die Albin sich in vierzig Schritt Höhe befand, gab es nicht mehr viele Bäume um sie herum. Die verschneiten Wipfel erinnerten an gemahlenen Knochenstaub, der bizarre Fischgerippe bedeckte, die ein Gigant aufrecht in den Boden gerammt hatte.
    Ihre schwarzen Augen suchten das Taggestirn, das sich viel zu langsam neigte. Die Dunkelheit wäre ihr Vorteil gewesen. Bis dahin

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