Die Legenden der Albae: Die Vergessenen Schriften (German Edition)
er die ausgetrockneten Löcher im Schädel. Mehr war von seinen einst blauen Augen nicht geblieben.
Immer noch spürte er Schmerzen, gegen die kein Trank half. Man kannte dieses Phänomen von Amputationen. Wie kann etwas, das nicht mehr existiert, Pein verursachen?
Er straffte seinen dünnen Leib und verließ das Haus, um zuerst seine Schulden zu begleichen und sich nach einem neuen Nachtmahr zu erkundigen, den er zur Schlachtung nutzen konnte.
Nachtmahre waren kostbar und teuer. Und niemand kam auf den Gedanken, sie als Futtermittel zu verwenden, doch es ging nicht anders. Die Vena-Katzen würden sonst elend verhungern oder selbst auf die Jagd gehen, und das wiederum würde ihn noch teurer zu stehen kommen.
Arviû hörte das feine Tapsen der Pfoten. Wie neugierige, grausame Kinder.
Seine Eskorte schirmte ihn ab. Arà, Lârc, Sféa und Ûsh sprangen und kletterten auf die Dinge, die sie unterwegs vorfanden, und nutzten sie, um einen besseren Überblick zu erhalten. Das Echo des hellen Klirrens, wenn er den Ring in regelmäßigen Abständen gegen die Intarsien schlug, ermöglichte es Arviû wiederum, die Umgebung wahrzunehmen, fast als würde er sehen.
Er wurde unentwegt gegrüßt.
Er bildete sich ein, dass die Stimmen ehrfurchtsvoll klangen, was nicht nur an seiner außergewöhnlichen Raubtiergarde lag.
Auf dem Markt wurde er mit so vielen Dingen beschenkt, dass Sklaven sie ihm nach Hause tragen mussten. Es wurde ihm sogar ein verendetes Nachtmahrfohlen überlassen, was besonders zartes Fleisch für seine Lieblinge bedeutete. So fiel ihm das Begleichen seiner Schulden leicht.
Es lohnt sich, kleine Wunder zu vollbringen. Was wird erst geschehen, wenn ich die richtigen wirke? Sehr zufrieden kehrte Arviû gegen Abend in seine Behausung zurück, in der sich die Gaben stapelten. Er war ein mehr als angesehener Alb, und das hatte er zudem den Elben zu verdanken.
C armondai hat recht: Ich bin auf dem besten Weg, eine Legende zu werden. Er setzte sich an den Kamin. Ich sorge dafür, dass meine Taten für sich sprechen, nicht der Verlust meiner Sehkraft. »Hinaus mit euch«, sagte er freundlich zu den Katzen. »Das Fohlen liegt im Unterstand. Genießt es!«
Arà, Lârc und Ûsh schlichen sich hinaus, Sféa jedoch blieb zu seinen Füßen. Niemals blieb der Alb ohne einen Beschützer. Die anderen drei würden genug übrig lassen.
Es klopfte.
Ein unruhiger Tag. Und doch voller Wunder. Am Klang erkannte er, dass es die junge Heilerin war. Sie konnte außerordentlich gut vortragen, und er genoss ihre weiche Stimme sehr. Sie war ganz anders als Ergàta, von ihrer Art und ihrem Wuchs. Mir wäre nach einem ihrer Lieder.
»Herein mit dir, Iuwâna.« Er legte eine Hand auf den Kopf der Vena-Katze, streichelte das weiche, warme Fell. »Ich freue mich, dich zu hören.«
Die Albin kam herein, und sofort verbreitete sich der Geruch von Oîrn-Gries. Sie hatte eine Schale der Süßspeise mitgebracht, die Arviû besonders mundete. Sie schaffte es, in Tark Draan die Gerichte seines Volkes zuzubereiten, obwohl die meisten Zutaten fehlten. Das nächste kleine Wunder, noch bevor die Sonne gänzlich versinkt.
»Die Freude liegt ganz bei mir, Arviû.« Iuwâna stellte das Gefäß auf dem Tisch ab. Dem Rascheln ihrer Stoffes nach trug sie ein Kleid aus doppeltem Leinen, mit Samt und Federn daran. »Ich kann an deinen Zügen ablesen, dass du bereits weißt, was ich mitbrachte.«
»Es macht den Abend vollkommen«, erwiderte er. Es wäre gelogen zu sagen, dass er die junge Albin nicht anziehend fand. Doch wie er Carmondai und Virssagòn bereits verkündet hatte: Er hatte keine Zeit für eine Gefährtin, die Platz in seinem Leben einnahm. Weder für eine Kämpferin noch für eine Heilerin.
»Warten wir es ab.«
Er horchte auf. Was hat das zu bedeuten? »Wirst du mich nicht mehr besuchen kommen?«
Iuwâna reichte ihm einen Becher und einen Löffel, um den Nachtisch essen zu können, während sie dazu ein Lied erklingen ließ.
Ihre Stimme erinnerte an silberne Mondstrahlen, die sich auf einem Teich spiegelten; an den leisen Wind, der durch feine Gräser strich; an ziehende, feine Wolken vor einem schwarzen Himmel.
Sie ist … anders als sonst. Arviû wagte es nicht, von der Speise zu kosten. Es kam ihm anmaßend vor, den einen Genuss durch den anderen zu beeinträchtigen.
So stellte er das Gefäß zur Seite und lauschte.
Sternengesang,
die Nacht lobpreisend.
Trunken machender Schein
fällt auf mein Antlitz,
durch meinen
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