Die Legenden der Albae: Die Vergessenen Schriften (German Edition)
Vieh führten. Alles machte einen erbärmlichen Eindruck.
»Nicht absteigen, Mantelspangen lösen«, befahl Tirîgon und nickte den Bogenschützen zu. »Sobald ihr den Eindruck bekommt, jemand könnte eine Gefahr bedeuten, schießt ihr.« Dann ritt er zum Brunnen, nahm seine Trinkflasche und öffnete sie, um sie über den Schacht zu halten. »Ich zähle jetzt bis drei, und dann möchte ich den Ältesten vor mir haben, oder dieses Gift macht das Wasser für die nächsten hundert Umläufe unbrauchbar«, rief er laut, aber beherrscht in der Gemeinsprache. »Eins …«
Die verwitterte Tür einer schäbigen Kate schwang auf.
Eine grauhaarige Barbarin mit faltenreichem Gesicht erschien, gekleidet in ein zerschlissenes Kleid und mit einem sackartigen Überwurf gegen die Kühle um die Schultern. Sie roch streng, wie die meisten Barbaren. Weder wuschen sie ihre Kleidung noch ihre Körper oft genug.
»Habt ein Einsehen, hohe Herren!«, rief sie und nutzte einen abgegriffenen, speckigen Stab, um sich aufrecht zu halten. »Mein Gemahl ist der Älteste, aber er ist mit den Männern auf den Feldern.« Sie hinkte heran, ein Bein war bandagiert. »Was führt Euch in unser kleines Dörfchen?«
Tirîgon beließ den Arm mit der Trinkflasche ausgestreckt über dem Brunnen. »Wie heißt du?«
»Lutina, hoher Herr.« Sie sah zu ihm hoch, dann auf das Banner, das an seiner Lanze im Wind wehte. Ihre Augen wurden groß. »Oh, ich erkannte Euch zu spät!«, rief sie entsetzt. »Dsôn Aklán, vergebt mir! Ich sehe nicht mehr besonders gut, und …«
Sie versucht, mich mit ihrer kleinen Aufführung abzulenken . Er warf Hécailôr einen raschen Blick zu, der daraufhin aus der Reihe scherte und langsam die Straße entlangritt, dabei unentwegt nach rechts und links blickte. »Wir sind auf der Suche nach der Herde Feuerstiere«, erwiderte er, ohne auf ihre Beteuerungen einzugehen, »die ganz in der Nähe vorbeikam. Diese Tiere sind recht selten geworden, und ihr werdet sie sicherlich gesehen haben.«
Lutina stützte sich mit beiden dreckigen Händen auf ihren Stab. »Dsôn Aklán, wir haben nichts gesehen. Wenn unsere Männer nicht da sind, bleiben wir in den Häusern, kümmern uns um das Vieh oder um die täglichen Handarbeiten.«
Tirîgon neigte seine Trinkflasche weiter. »Mag sein, dass ihr euch darauf verlasst, den nahen Bach als Ersatz für den unbrauchbaren Brunnen in Betracht zu ziehen, aber ich lasse meine Schützen dort aufstellen und jeden von euch niederschießen, der es wagt, mit einem Eimer an das Ufer zu treten«, sprach er freundlich. »Ihr werdet schrecklichen Durst leiden. Vielleicht sterben eure Bälger, und wenn die Götter gnädig sind, lassen sie es unter Umständen regnen, damit ihr das Nass von den Dächern lecken könnt, wer weiß?« Seine schwarzen Augen wirkten noch bedrohlicher, und er sandte eine Prise Furcht gegen die Alte. »Doch wage es noch einmal, mich belügen zu wollen, Lutina, und dieses Wasser wird ungenießbar werden.«
Die Barbarin wankte, die Finger krampften sich um den Stock. »Wir … sahen sie wirklich nicht, Dsôn Aklán, doch wir … hörten sie. Sie rannten in der Nacht vorbei, als wäre ein … Dämon hinter ihnen her«, berichtete sie stockend. »Unsere Männer entzündeten Feuer, um die Tiere davon abzuhalten, durch unser Dorf zu jagen und alles niederzutrampeln.«
»Und wann war das?«
»Gestern, Dsôn Aklán.«
»Und wann in der Nacht?«
Lutinas grüne Augen ruckten hin und her, sie dachte hastig nach.
Du suchst nach Ausflüchten. Ich kann in deinem hässlichen Gesicht lesen wie in einem Buch. »Welchen Mond hatten wir gestern?«, setzte Tirîgon nach.
»Wir hatten …« Die Barbarin geriet ins Stammeln.
»Welches Wetter herrschte?«
»Es war …« Erneut kam sie ins Stocken.
Tirîgon lehnte sich nach vorne. »Ist das so schwer, Lutina? War die Nacht klar oder regnete es? Stieg Nebel empor? Denke nach!«
»Kein Nebel. Glaube ich. Und …« Ihre dürren Hände umklammerten das Holz, sie taumelte. »Und es war …«
»Warte. Ich weiß, wie deine Erinnerung besser wird. Ein Schluck Wasser hilft meist.« Tirîgon verstaute die Flasche, senkte seine Lanze blitzschnell und durchbohrte die Schulter der Frau. Er spießte sie daran auf und schleuderte die Kreischende durch eine Drehung des Nachtmahrs gegen die Brunneneinfassung.
Mit einem neuerlichen Schrei kippte sie über die Mauer und landete nach einem kurzen Flug klatschend im Wasser; ihre Hilferuf und ihr Gewimmer
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