Die Legenden der Albae: Tobender Sturm (Die Legenden der Albae 4) (German Edition)
beugte sich nach vorne und nahm die größte Scherbe, an der ihr roter Lebenssaft klebte, führte sie keuchend an den Hals. Die eintätowierten Linien flammten überall an ihr auf, doch die Magie schien nutzlos. Ganz langsam ritzte die Spitze die Haut und durchtrennte die farbigen Striche, die Albin schrie wieder.
»Du bist nur eine Puppe. Meine Puppe.« Fa’losôis gelbliche Augen waren noch immer auf Aiphatòn gerichtet, als wäre die Todestänzerin ihrer Aufmerksamkeit nicht wert.
»Solange ich atme, werde ich versuchen, dich zu töten«, schrie Tanôtaï – und gab ein erstickendes Stöhnen von sich.
Ihr Mund schloss und öffnete sich, die Nasenflügel weiteten sich, doch sosehr sie sich mühte, ihr Brustkorb stand wie festgegossen still und regte sich nicht. Kein Lufthauch gelangte in ihre Lunge, das Leuchten ihrer Tätowierungen ließ nach.
» Solange du atmest«, wiederholte Fa’losôi leise. »Siehst du, wie schnell ich das ändern kann?«
Aiphatòn blieb nur die Rolle des Zuschauers, der lernte, um nicht das nächste Opfer der Botoikerin zu werden.
Tanôtaïs Wut wich der blanken Todesangst. Ihre Gesichtsfarbe wechselte mehr und mehr ins Rote, die Adern am Hals und um die Augen schwollen an. Die schwarzen Wutlinien fielen nicht weiter auf. Sie hielt die blutende, zerschnittene Hand noch immer ausgestreckt, die andere lag mit dem Splitter am Hals.
» Meine Puppe«, stellte Fa’losôi fest. »Wie alle.«
Tanôtaï erhob sich von ihrem Platz und begann zu tanzen, mit aller Grazie in den Beinen, wie sie es Aiphatòn schon einmal bewiesen hatte. Erst als die Luft so gut wie nicht mehr ausreichte, um den Leib bei Bewusstsein zu halten und sie torkelte, erlaubte die Botoikerin ihr das Atmen wieder.
Tanôtaï stand still und schnaufte, prustete wie eine Albin, die dem Ertrinken im allerletzten Moment entkommen war. Ihre Brust schien zu bersten, so heftig pumpte sie Luft hinein.
Sie ließ die Scherbe fallen, kehrte zurück und setzte sich keuchend neben Aiphatòn, Speichelfädchen rannen aus den Mundwinkeln. Das Sprechen gelang ihr nicht. Die Tätowierungen verloren das letzte Leuchten.
Fa’losôi schwieg zunächst und wirkte, als sei sie mit offenen Lidern eingeschlafen. Dann zuckte sie zusammen. »Nun gut, Aiphatòn. Dann bin ich froh, dass ich durch dich einen klugen Befehlshaber fand.« Sie sah zu Kôr’losôi und Saî’losôi, als sei nichts geschehen. »Wir versuchen, was er vorschlug.« Sie erhob sich und stützte sich auf den Speer. »Kôr’losôi, du gehst mit Aiphatòn und einer Truppe von hundert Bestien nach Ultai t’Ruy. Ein Ghaist hat die Stadt aufgespürt und zeigt euch, wohin ihr müsst. Dort sollte Ysor’kenôr mit seinen Verbündeten sitzen.« Die Botoikerin schlenderte zu einer Nebentür. »Greift sie an. Ich will sehen, was ihr ausrichtet gegen die größte Übermacht . Wo er doch ein so guter Tharc-Spieler ist.« Lachend blieb sie auf der Schwelle stehen. Die blitzende Speerspitze zeigte auf den Alb. »Oh, als kleiner Ansporn: Bin ich zufrieden, bekommst du dein Spielzeug wieder. Es soll gut gegen die Endlichkeit sein, sagte man mir.« Fa’losôi schritt hinaus.
Ich werde herausfinden, ob es eine gute Eingebung war, ihr den Vorschlag zu unterbreiten. Aiphatòn spürte, wie die fremde Macht Besitz von ihm ergriff, dann baumelten seine Arme herab.
Tanôtaï stöhnte auf, ihre Hände senkten sich. Die Wunde blutete noch immer.
Kôr’losôi verzog den Mund. »Mit hundert Bestien losziehen«, murmelte er verwünschend. »Nicht der beste Einfall, schlauer Kaiser.«
Saî’losôi hingegen sah erleichtert aus. Ihr Blick traf Aiphatòn. »Spielt man Tharc auch hundert gegen hunderttausend?« Sie stand auf, klopfte Kôr’losôi aufmunternd auf die Schulter. »Und dich beneidete ich früher um deine Reisen.« Die Botoikerin verschwand kichernd durch die Tür, durch welche die Gruppe hereingekommen war.
»Ich hoffe wahrlich«, raunte Kôr’losôi fast, »dass es dieses Spiel überhaupt gibt und dass du es so gut beherrschst, wie du es Fa’losôi weisgemacht hast.«
Tanôtaïs Sprache blieb versiegt, ihr Blick war abwesend und leer wie zu Beginn.
Aiphatòn setzte zu einer Erwiderung an, als der Kupferhelm, den er bereits vergessen hatte, loslief und dem Oberhaupt der Nhatai-Familie folgte. Beinahe hätte ich mich verraten.
»Da ich der Einzige bin, der Tharc kennt, werde ich gewinnen«, flüsterte er, als sie alleine waren, und bewegte dabei kaum die Lippen. »Es wird
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