Die Legenden der Blauen Meere, Band 1: Dreckswetter und Morgenröte (German Edition)
herauskam, war ich tropfnass, fühlte mich aber etwas weniger verdreckt und sah hoffentlich auch so aus. Auf meinem Unterarm war noch immer ein langer Schnitt, der nun vom Salzwasser brannte, doch ohne das ganze eingetrocknete Blut wirkte er wesentlich weniger furchterregend. Mein Hemd hatte zu viele Flecken, deshalb zog ich es lieber nicht an und hoffte, als eifriger Schwimmer ohne Kinderstube durchzugehen.
Die fünfköpfige Familie war am Fuß der Treppe, die zum Kai hinaufführte, mit den Schuhen der Kinder beschäftigt. Ich lief um sie herum nach oben und stellte mich in die Schlange von Passagieren, die auf das riesige Schiff wollten.
Je näher ich dem Ende der ersten Gangway kam, umso nervöser wurde ich. Ein Steward stand davor, lächelte und begrüßte die Passagiere, die an Bord gingen. Sein Blick traf meinen, als noch zehn Leute vor mir standen, und ich sah, wie er angewidert den Mund verzog.
So würde es nicht funktionieren. Ich konnte nicht klitschnass und halb nackt an Bord gehen, ohne eine Menge Fragen zu provozieren.
Ich verlor den Mut und drehte mich weg – doch dann sah ich auf der Uferstraße zwei berittene Soldaten, die von Süden her auf die Stadt zuhielten. Waren es dieselben, die ich auf die Jagd nach Fantasieeingeborenen geschickt hatte? Oder die Soldaten des Erkundungstrupps, die Birchs Sturz von der Klippe gesehen hatten? Oder weder noch? Aus dieser Entfernung konnte ich es nicht sagen. Doch schon ihr bloßer Anblick bewog mich, es doch mit dem Schiff zu versuchen. Eine bessere Möglichkeit würde sich nicht auftun.
Da der Offizier an der weiter entfernten Gangway älter und schläfriger aussah als der erste, wechselte ich in seine Schlange. Die anderen Passagiere warfen mir seltsame Blicke zu, doch ich hoffte, dass die Tatsache, dass meine Hose und meine Schuhe von den Pembrokes stammten – und genauso teuer waren wie die der anderen –, sie davon überzeugen würde, dass ich an Bord gehörte.
Als sich die Schlange vorwärtsschob, drapierte ich – während ich mein Lächeln für den Zahlmeister übte – mein Hemd sorgfältig über den Unterarm, um sowohl die Schnittwunde als auch die schlimmsten Flecken auf dem Hemd zu verbergen.
»War noch mal im Wasser! Hoffentlich ist Mum nicht sauer!«, rief ich fröhlich, als ich an dem Offizier vorbeilief.
»Mmpf«, grunzte er und beachtete mich nicht weiter.
Kurz darauf war ich auf dem Schiff. Die Gangway führte zu einer Eingangstür auf dem zweiten Deck, wo sich die Passagiere durch schmale, beleuchtete Korridore in ein Labyrinth von Kabinen schoben. Eine Treppe, die zu den tiefer gelegenen Decks hinunterführte, war voller Leute, die nach oben war jedoch fast menschenleer.
Ich stieg eine Treppe zum Batteriedeck hinauf, das groß und bis auf eine Reihe Kanonen und eine Gruppe kleinerer Kinder, die mitten auf dem Deck irgendein Spiel spielten, verlassen war. Auf den Boden waren seltsame Muster aus Drei- und Vierecken gemalt und die Kinder schoben große flache Steine darüber, wozu sie lange Stöcke mit gepolsterten Puffern an einem Ende benutzten.
Als ich an ihnen vorbeischlenderte und mir Mühe gab auszusehen, als wüsste ich, wohin ich ging, brüllte mich eines der Kinder an, weil ich auf etwas getreten war, das offensichtlich ein besonders wichtiges Dreieck war. Der Junge schien ungefähr zehn zu sein, hatte ein gemeines Gesicht und beschimpfte mich mit Ausdrücken, von denen ich immer angenommen hatte, dass nur Seeleute sie benutzten.
»Pass auf, was du sagst! Sonst hol ich deinen Vater!«, drohte ich ihm, nicht, weil ich das auch nur im Entferntesten in Erwägung zog, sondern weil ich annahm, dass ich noch verdächtiger wirken würde, wenn ich ihm seine Frechheiten durchgehen ließ.
»Mein Vater wird dich verklagen!«, konterte der Junge.
Da ich nicht mal wusste, was das bedeutete, lief ich einfach weiter.
Am Heck fand ich eine Reihe Türen, die jedoch alle verschlossen waren. Es gab noch eine Treppe, doch ich wollte nicht hinuntergehen, weil es auf den unteren Decks vor Passagieren wimmelte, und auf dem Oberdeck würde ich wahrscheinlich in die Besatzung rennen.
Ich sah mich um. In der Ecke war eine große Plane über etwas Breites, Viereckiges geworfen, das mir ungefähr bis zur Hüfte reichte. Ich hob ein Ende der Abdeckung an, deren überhängende Ränder seitlich umgeschlagen waren, und spähte darunter.
Es waren vier große Kisten mit Kanonenkugeln. Nichts, was irgendjemand in absehbarer Zeit brauchen würde.
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