Die Legenden der Blauen Meere, Band 1: Dreckswetter und Morgenröte (German Edition)
würde ihr klar werden, dass sie mich liebte, und sie würde nicht mehr wegwollen. Wir würden für immer zusammenbleiben, Tausende von Kilometern von ihrem Vater entfernt.
Aber es fühlte sich falsch an. Selbst wenn ich Millicent einbezog, hatte die Vorstellung, nach Rovien zu entkommen, etwas Unangenehmes. Etwas, das mir ein ungutes Gefühl gab. Mehr noch, mich beschämte.
Lange lag ich so da und drückte auf dem Gefühl herum wie auf einem faulen Zahn, bevor es schließlich herausbrach und ich sah, was darunter war.
Es war meine Familie. Sie hatten mir nie viel bedeutet, vor allem Adonis nicht, und ich hatte damals auf Dreckswetter wer weiß wie viele Nächte auf meinem Strohbett gelegen und mir gewünscht, ich könnte ihnen entkommen.
Doch sie waren die einzige Familie, die ich hatte. Noch wichtiger, ich war die einzige Familie, die sie hatten, und Roger Pembroke hatte sie umgebracht, und wenn ich nichts unternahm – ich hatte keine Ahnung, was, aber irgendwas –, würde nie jemand davon erfahren.
Und er würde sich nach Belieben an unserem Grundbesitz bedienen, einfach so, als gehörte alles ihm, und niemand würde ihn daran hindern.
Ich wollte nichts davon. Ich wollte weglaufen, vergessen, dass es je passiert war, und bis auf Millicent nie wieder an einen von ihnen denken.
Aber ich wusste, das konnte ich nicht. Ich konnte davonlaufen, ich konnte den Ozean überqueren, doch eines Tages müsste ich zurückkehren.
Denn ich konnte nicht zulassen, dass er nach dem, was er meiner Familie angetan hatte, ungestraft davonkam.
Und ich konnte ihm nicht einfach diesen Schatz überlassen.
Als ich schließlich unter der Plane hervorkrabbelte, war ich ein Wrack. Alles schmerzte. Mein Knie war geschwollen und ließ sich nicht beugen, meine Schulter schmerzte, sobald ich auch nur versuchte, den Arm zu heben, Muskeln, von deren Existenz ich nichts geahnt hatte, brannten in meinen Beinen und unterhalb meiner Rippen, und mein Rücken war so steif vom stundenlangen Herumliegen in nassen Kleidern auf dem Holzdeck, dass ich kaum hochkam.
Außerdem war ich vor Hunger ganz schwach auf den Beinen. Nach drei Wochen bei den Pembrokes hatte sich mein Körper so an üppige, regelmäßige Mahlzeiten gewöhnt, dass er sich weigerte, ohne sie zu funktionieren. Doch der Hunger war nicht halb so schlimm wie der Durst, wahrscheinlich war mir deshalb so schwindlig.
Zum Glück war das Batteriedeck seit Stunden verlassen – falls ein Wachmann dort seine Runden drehte, hatte ich ihn jedenfalls nicht vorbeilaufen gehört. Ich ließ mir also Zeit und stützte mich auf die Kanonen, während ich mich in der sanft schaukelnden Dunkelheit vorantastete.
Bis auf einen schwachen Schimmer aus den Treppenaufgängen war es auf dem Deck beinahe so schwarz wie unter der Plane. Das kam mir komisch vor – schließlich standen die Kanonenluken alle offen und es hätte jede Menge Mondlicht hineinscheinen sollen. Doch dann schaute ich aus einer Luke und stellte fest, dass wir durch Nebel hindurchfuhren, der so dicht war, dass ich ihn praktisch mit den Händen greifen konnte.
Sobald sich meine Muskeln gelockert hatten und ich mich sowohl an den Schwindel als auch an das Schwanken des Bootes auf dem Meer gewöhnt hatte, ging ich nach achtern zu den Treppen. Da in der Mitte jedes Treppenabsatzes Öllampen von den Deckenbalken hingen und ich mich im Schutze der Dunkelheit sicherer fühlte, lief ich schnell durch zwei Kabinendecks zum Speisesaal hinunter.
Er erstreckte sich über die ganze Breite des Schiffs und war offen wie das Batteriedeck, und selbst im schummrigen Licht der wenigen Wandleuchten konnte ich erkennen, dass er pompös war. Um Dutzende großer runder Tische standen Hunderte zierlich geschnitzter Holzstühle mit Samtpolstern. Die Wände waren verputzt und kunstvoll mit Darstellungen von Seeschlachten bemalt, ich sah alles Mögliche von antiken Wassergöttern und Seeungeheuern bis hin zu Piraten und Marineoffizieren. In der Mitte des Saals ragte eine erhöhte Plattform aus der Wand, wahrscheinlich eine Bühne für Darbietungen.
Zu meinem Pech war der Saal blitzblank geschrubbt – welches Festmahl an diesem Abend serviert worden sein mochte, es war kein Krümchen davon übrig.
Aber irgendwo musste doch die Kombüse sein! Im vorderen Teil des Saals entdeckte ich eine breite Tür mit einem Riegel davor. Ich schob ihn leise auf und spähte hinein.
Es war pechschwarz. Ich schloss die Tür schnell wieder – falls irgendjemand von der
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