Die Legenden der Blauen Meere, Band 1: Dreckswetter und Morgenröte (German Edition)
wert zu sein.
Auch dieses Mal klappte es beinahe. In dem Moment, als ich die Augen öffnete, schloss ich aus der Hitze und der Stickigkeit, dass es bereits dämmerte. In Panik sprang ich aus dem Bett und klatschte prompt gegen die Wand. Ich hatte vergessen, dass ich mein Bett mitten in der Nacht verschoben hatte, um die Tür zu verbarrikadieren.
Sobald ich meine Orientierung wiedergefunden hatte, gelang es mir, so aus dem Bett zu klettern, dass ich die Tür öffnen und etwas Licht hereinlassen konnte. Anschließend suchte ich mein bestes, kratzigstes Hemd heraus und zog es auf dem Weg in die Küche über.
Dort war nur Quint. Er stand auf dem Küchentresen – Quint hatte keine Beine, bloß Stümpfe, wo eigentlich seine Oberschenkel hätten sein sollen, deshalb stand er die meiste Zeit auf irgendwas – und mampfte den letzten seiner Frühstücksfladen von einem Eisenblech. Der Kraft nach zu schließen, mit der sich seine kräftigen Armmuskeln anspannen mussten, um ihn abzubekommen, war der Fladen ziemlich festgebacken.
»Beeil dich mal lieber«, sagte er und warf mir einen Brocken Brot zu. »Dein Dad is schon hochgegangen, um sich die Stiefel anzuziehen.«
Wenn ich nicht in der Sekunde, wenn Dad aus dem Haus kam, gestiefelt und gespornt in der Kutsche saß, würde er mir eine kleben, weil ich alle aufhielt. Also stürzte ich wie der Blitz aus der Haustür und bemühte mich dabei, meinen Fladen herunterzumümmeln, ohne mir einen Zahn abzubrechen.
Die Kutsche stand mit weit geöffnetem Schlag vor dem Haus. Percy stand direkt dahinter und versuchte, Venus das Kleid zuzuknöpfen. Stumpy – der Feldpirat, der uns fährt und von dessen Beinen trotz seines Namens mehr übrig ist als von Quints – saß bereits auf dem Bock und hielt die Zügel.
Als ich auf das Trittbrett sprang und mich durch die offene Tür auf den Rücksitz hangelte, winkte ich Stumpy zu.
Das trug mir einen Schlag von Adonis ein, der mich prompt wieder aus der Kutsche schubste.
Noch bevor ich mit dem Hintern auf der Erde landete, verwünschte ich mich, dass ich das nicht vorhergesehen hatte. Mein Fladenbrot rollte davon und hüpfte ein paarmal, bevor es vor Percys Fuß liegen blieb.
Während Adonis in der Kutsche wie ein Esel wieherte, beugte sich Percy mit einem Grunzen vor und schaffte es irgendwie, trotz seines Bauchs ohne umzukippen das Brotstück aufzuheben. Er klopfte die Erde ab und verputzte es, während Venus mich mit gerümpfter Nase musterte.
»Egbert! Du hast dein bestes Hemd dreckig gemacht! Dafür kriegst du von Dad eine Tracht Prügel.«
Als ich den Mund öffnete, um zu antworten, schmeckte ich Blut. Während meine Schwester über mich in die Kutsche kletterte, legte ich die Hand auf die Lippe und stellte fest, dass sie aufgeplatzt war – entweder von Adonis’ Faust oder dem harten, scharfkantigen Fladen. Ich war nicht sicher.
»Blute noch die Vorderseite voll, dann verdrischt er dich gleich doppelt.« Percy stand über mir, aus seinem Mund flogen mir sabberige Bröckchen des geklauten Frühstücks auf die Stirn. Danach drehte er sich um und verdeckte mir, bis er sich durch die Kutschentür auf den Platz neben Venus gequetscht hatte, mit seinem dicken Schwabbelhinterteil die Sicht auf den Himmel.
Ich schaffte es gerade noch, das Blut mit meinem Taschentuch abzuwischen, mir, so gut es ging, den Staub von den Sachen zu klopfen und mich neben Adonis zu setzen, da tauchte Dad auf der Veranda auf.
Er trug seine beste Jacke – den Frack aus blauem Samt –, die Ausbeulungen an beiden Hüften bedeuteten, dass er auch sein Pistolenhalfter umgeschnallt hatte.
Das war ein weiteres Zeichen – auch wenn wir das eigentlich nicht brauchten –, dass es sich um einen ungewöhnlichen Ausflug handelte. Wenn wir an Feiertagen nach Morgenröte fuhren, trug er immer den Frack. Wenn er Geschäfte zu erledigen hatte, hatte er die Pistolen dabei. Ich hatte noch nie gesehen, dass er beides gleichzeitig trug.
Während ich mir das durch den Kopf gehen ließ – Warum schmeißt er sich in Schale, um jemanden zu erschießen? –, zog Percy die Tür zu; als Dad sich auf den Kutschbock schwang, wackelte die Kutsche. Danach zog Stumpy wohl an den Zügeln, denn wir schlingerten vorwärts und ließen das einzige Zuhause zurück, das ich je gehabt hatte.
Hätte ich gewusst, wie lange es dauern würde, bis ich es wiedersah, hätte ich mich vielleicht ein letztes Mal umgedreht – um einen Blick auf die zwei Fenster im Obergeschoss zu
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