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Die Legenden der Blauen Meere, Band 1: Dreckswetter und Morgenröte (German Edition)

Die Legenden der Blauen Meere, Band 1: Dreckswetter und Morgenröte (German Edition)

Titel: Die Legenden der Blauen Meere, Band 1: Dreckswetter und Morgenröte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Geoff Rodkey
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werfen, die unter dem Dachvorsprung hervorlugten wie die Augen eines fetten, schläfrigen Riesen, und auf den Haikiefer, der auf der großen Veranda, die rings ums Haus lief, über der Tür hing. Es ist merkwürdig, aber dieser Kiefer fehlte mir in der folgenden Zeit. Ich glaube, er gab mir ein Gefühl der Sicherheit: In einem Haus mit einem solchen Kiefer würde einen einfach niemand angreifen. Zumindest nicht von draußen.
    Die Straße führte zu den unteren Obstfeldern. Die Stinkfruchtbäume waren in ziemlich dichten Nebel gehüllt, und während wir den Berg hinunterholperten, traten ein paar Piraten aus dem Dunstschleier. Im verschwommenen Dämmerlicht sahen sie aus wie ramponierte Ausschneidefiguren – hier fehlte ein halbes Bein, dort der Großteil eines Arms oder ein Stück Kopf.
    Der mit dem fehlenden Stück Schädel war Mung. Als er mich im Vorbeifahren hinter der Kutschenscheibe erkannte, zwinkerte er mir leicht zu und ich brachte so etwas wie ein Zwei-Finger-Winken zu Stande, ohne dass die anderen es bemerkten und mir deshalb Ärger machten. Mung arbeitete schon seit Ewigkeiten für Dad. Er konnte nicht sprechen (wahrscheinlich, weil ihm ein Stück Hirn fehlte) und war netter zu mir als sonst jemand. Als ich klein war, übte er mit mir Fangen und Werfen. Bis Dad uns eines Tages erwischte und uns beide verdrosch, weil wir Zeit verplemperten, warfen wir eine Stinkfrucht hin und her und taten, als wäre sie ein Ball. Dads Prügel nahmen uns beiden ziemlich die Lust am Sport, aber ich hatte Mung immer noch sehr gern.
    Percy, durch eine Bodenwelle aufgeschreckt, verkündete: »Zeit, was zu lernen, Kinder!«
    Adonis verdrehte die Augen und Venus schob schmollend die Unterlippe vor. »Aber Percy! Wir sind auf Reisen!«
    »Blödsinn. Gelernt wird überall, ob auf Reisen oder sonst wo.«
    Er sagte das mit steinerner Miene, auch wenn uns allen klar war, dass die Ansage nur für Dads Ohren gedacht war – falls er vom Kutschbock aus zuhörte.
    »Also: Wie entsteht Nebel?«
    Keiner antwortete.
    »Nichts? Keiner? Nun gut. Ich werde es euch erklären.« Percy hob einen Wurstfinger und legte eine Kunstpause ein. Das tat er immer, wenn er seine eigenen Fragen beantwortete. Für jeden, der ihn nicht kannte, schien er die Pause zu machen, weil er betonen wollte, wie wichtig die Lektion war. In Wahrheit brauchte er sie, um sich eine Antwort auszudenken.
    »Vulkantätigkeit. Dieselben Kräfte, die den Vulkan rauchen lassen … steigen in der Nacht aus der Erde auf und –«
    »Aber warum stinkt der Nebel dann nicht?« Manchmal waren Percys Thesen so bizarr, dass selbst Adonis skeptisch wurde.
    »Wie? Der Nebel?«
    »Ja. Vulkanrauch stinkt. Wie faule Eier.«
    »Was GLAUBST du wohl, warum es nicht stinkt?«, schnaubte Percy leicht angeekelt. Fragen zu wiederholen war seine zweite Taktik, sich Zeit zu verschaffen. »Weil die Erde … den ganzen Gestank einfängt. Grab doch mal irgendwann ein Loch. Wenn du tief genug gräbst, kommt alles raus. Da bleibt dir die Luft weg. Wirst schon sehen.«
    Als wir eine Stunde später in Galgenhafen einfuhren, hatte die Morgensonne den Nebel aufgelöst, in der Kutsche war es heiß wie in einem Backofen und Percy hatte meinen Bruder und meine Schwester mit Dutzenden neuer Fakten aus Wissenschaft, Geschichte und Mathematik zugetextet, die allesamt einfach nur grottenfalsch waren. Allerdings machten sie sich sowieso nicht die Mühe, sich irgendwas davon zu merken.
    Als wir die breite, verdreckte Hauptstraße hinunterfuhren, erwachte Galgenhafen allmählich zum Leben. Die Kutsche schlingerte von einer Seite auf die andere, weil Stumpy um die Piraten herumlenkte, die in der Nacht zuvor auf der Straße umgekippt waren. Das Getrappel der Pferdehufe weckte ein paar von ihnen, sie rappelten sich auf, schüttelten den Rum aus den Köpfen, anschließend beugten sie sich wieder vor und kotzten. Selighafen, die Hafenstadt von Morgenröte, hat viele Vorzüge gegenüber Galgenhafen, doch einer der ersten Unterschiede, die einem ins Auge stechen, ist die fehlende Kotze.
    Als wir am Kai hielten, befahl uns Dad in der Kutsche zu warten, während er wegen eines Bootes verhandelte, das uns nach Morgenröte bringen sollte. Wir mussten immer in der Kutsche warten, bis das Boot angeheuert war, hauptsächlich wegen Venus – in Galgenhafen gab es nicht viele weibliche Wesen, schon gar keine Fünfzehnjährigen, die sich wuschen, und auch wenn meine Schwester wie ein Pferd aussah und den Charakter einer Eidechse

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