Die Legenden der Blauen Meere, Band 1: Dreckswetter und Morgenröte (German Edition)
hätten wir durch«, mischte sich Guts ein.
»Dein Vater versucht mich umzubringen –«
»Nur, weil du Birch umgebracht hast, und Daddy ist loyal zu –«
»Nein, sondern weil da oben etwas ist, was er haben will!« Ich deutete auf den Berg. »Warum geht dir das nicht in den Schädel?«
»Weil er es mir gesagt hätte! Es ist zu wichtig! Außerdem würde es bedeuten, dass er …« Ihre Stimme versagte und sie runzelte die Stirn. »Wenn du mit alldem Recht haben solltest, stimmt nichts mehr von dem, was ich über meinen Vater weiß. Und das kann nicht sein.«
Ich lief weiter. Hier war jede Diskussion sinnlos.
»Kommt schon. Es ist nicht mehr weit.«
Kurz bevor wir die unteren Obstfelder erreichten, führte ich sie von der Straße weg. Ich hoffte, dass mich niemand entdecken würde, bis ich einen mir wohlgesinnten Feldpiraten fand, der mich aufklären würde, was hier vor sich ging. Ich war nicht sicher, wie viele von ihnen auf meiner Seite stehen würden – sie hatten zwar für Dad gearbeitet, aber sie waren ihm nicht gerade ergeben, und außerdem waren sie sowieso Piraten und dachten nur an sich selbst. Doch vermutlich konnte ich auf ein paar von ihnen zählen. Sie waren bestimmt nicht begeistert, die Plantage mit einer Horde rovischer Soldaten zu teilen.
Aber ich fand keine Menschenseele. Die Obstfelder waren verlassen und still. Große Frachtkisten standen achtlos zwischen den Reihen, halb voll mit Stinkfrüchten. Sie waren mitten während der Ernte stehengelassen worden.
Wir schlichen zwischen den Bäumen hindurch, an jeder Reihe machten wir halt und hielten Ausschau nach einem Lebenszeichen. Es war niemand da. Die unheimliche Stille sorgte dafür, dass sich mein Magen zusammenzog.
Ich beugte mich über eine der Kisten und nahm eine Frucht heraus.
»Möchte jemand eine?«
Millicent und Guts stellten sich zu mir, schälten die harte stachelige Schale ab und lösten die dicken puddingartigen Fruchtkammern heraus.
»Nicht so schlimm, wie ich dachte«, stellte Millicent mit vollem Mund fest.
Ich verputzte drei. Die anderen beiden hörten nach einer auf und warteten ungeduldig auf mich. Als ich es nicht mehr länger hinauszögern konnte, führte ich sie Richtung Haus, wobei ich einen Umweg am Stall vorbei einschlug. Davor standen vier Pferde angebunden, die ich nicht kannte, weiterhin eine große Kutsche, wahrscheinlich die, von der uns der Bäcker erzählt hatte. Aber noch immer war keine Menschenseele zu sehen.
Nachdem wir den Hügel noch ein Stück hinaufgestiegen waren, kam das Haupthaus in Sicht. Das Dach schien noch mehr durchzuhängen als früher, doch die große Veranda und der Haikiefer über der Tür waren unverändert, und ich hatte einen Kloß im Hals.
Ich führte Guts und Millicent um das Haus herum zu einer Seitentür und wir gingen hinein. Der Geruch war vertraut. Bevor wir auch nur über den Gang in die Küche traten, wusste ich, dass ich dort Quint, den Hauspiraten, antreffen würde, der einen Eintopf auf dem großen schwarzen Herd kochte.
Er saß auf seinem Stammplatz oben auf der Anrichte – sein Kopf war ungefähr auf gleicher Höhe wie der Topfdeckel – und rührte den Eintopf mit einem langen Holzlöffel um, der halb so groß war wie er.
»Quint?«
Bei meinem Anblick purzelte er fast vom Schrank. Doch dann lächelte er breit, ließ den Löffel sinken, sprang auf den Boden und watschelte auf seinen Beinstümpfen in meine Richtung.
»Egbert! Lass dich umarmen, Junge!«
Ich fiel auf die Knie und drückte ihn fest.
»Percy hat behauptet, du wärst tot!«
»Da hat er gelogen.«
»Hätt ich mir ja denken können. Ahnungsloser Drecksack.« Anschließend watschelte er ein Stück zurück und sah zu Millicent hoch. Und lächelte ein bisschen zu heftig.
»Hal-lo! Wer bist’n du?«
Millicent zog die Nase kraus und verschränkte die Arme.
»Das sind Millicent und Guts. Meine Freunde. Und das hier ist Quint«, erklärte ich, als Quint sich auf den Schlachttisch zubewegte, die Arme hochstreckte und sich auf die Tischplatte hievte, wo er sich mehr oder weniger auf Augenhöhe mit uns befand.
»Wo warste denn, Junge? Was is’n passiert?«
»Zuerst du. Wo sind die Soldaten?«
»Die buddeln mit den anderen den Berg um. Und halten Ausschau nach dem Zauber vom Feuerkönig.«
»Haben sie die Feldpiraten gezwungen, ihnen zu helfen?«
»Die mussten niemand zwingen. Percy hat erzählt, dass der neue Besitzer alles, was gefunden wird, mit uns teilen würde.«
»Welcher neue
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